RAFFAEL 1520-2020

Raffael

Heilige Familie Canigiani, ca. 1507

Pappelholz (Populus sp.), 131 x 107 cm
1691 als Geschenk des Großherzogs Cosimo III. von Toskana an Johann Wilhelm von der Pfalz.
Inv. Nr. 476

Details   

RAFFAEL 1520-2020

Alte Pinakothek
Sammlungspräsentation | Saal IV

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Raffael feierte die größten Erfolge seiner Kunst in Rom, wo er vor 500 Jahren starb. Die zahlreichen Tafel-und Wandbilder, die er dort in nur wenig mehr als einem Jahrzehnt vollenden konnte, garantieren bis heute seinen Weltruhm. Als Schöpfer von Bildern vollkommener Schönheit erlangte er vor allem im 19. Jahrhundert Kultstatus. Ludwig I. von Bayern und sein Galeriedirektor Johann Georg von Dillis verehrten ihn als „König von der Mahlerei“.

Raffaels 500. Todestag gibt Anlass, an die Geschichte seines Ruhms zu erinnern und zu reflektieren, wie stark er mit seiner Kunst die Bildsprache der neuzeitlichen westlichen Welt prägte. In der Alten Pinakothek, deren Grundstein 1826 an Raffaels Geburtstag gelegt wurde, steht deshalb im Florentiner Saal der Galerie ein frühes Hauptwerk des Meisters im Fokus, die sogenannte „Heilige Familie Canigiani“.

Die konzentrierte Sammlungspräsentation zeigt unter fünf Werken der Alten Pinakothek zwei Andachtsbilder Raffaels und lässt dabei die „Heilige Familie Canigiani“ mit einem Gemälde von Friedrich Overbeck aus der Neuen Pinakothek und einer Leihgabe der Bayerischen Schlösserverwaltung, einem Porzellanbild von Christian Adler, in Dialog treten. Mit einer Altartafel von Pietro Perugino und einem Werk von Fra Bartolommeo erinnert die Auswahl zunächst daran, dass die Karriere des 1483 geborenen Raffaelo Sanzio in Umbrien und in der Toskana ihren Anfang nahm.

Von 1504 bis 1508 hielt sich Raffael vor allem in Florenz auf und setzte sich sehr kreativ mit den aufsehenerregenden Schöpfungen von Leonardo da Vinci und Michelangelo auseinander. Auf diese Weise konnte er im Wettstreit der Florentiner Maler bestehen und bedeutende Aufträge an sich ziehen. Die „Heilige Familie“ bestellte Domenico Canigiani, ein vermögender Florentiner Tuchhändler und Parteigänger der Medici, anlässlich seiner Hochzeit im Jahr 1507.

Bereits vor 37 Jahren, anlässlich von Raffaels 500. Geburtstag, wurde das Gemälde restauriert. Unter einer deckenden Übermalung traten dabei acht auf Wolken schwebende Engel zu Tage. Sinnbildlich erzählen sie von der wechselvollen Geschichte des ersten „Raffaels“ in Deutschland. 

Führungen

„Aus erster Hand“ - Kuratorenführung

Teilnahme kostenfrei
Begrenzte Anzahl an Teilnahmeplätzen
Erwerb von Restkarten ab 17.45 Uhr an der Kasse möglich
Anmeldung unter programm@pinakothek.de

DI 30. JUNI 2020, 18.00 | Andreas Raub
Idyll und Passion - Raffaels Heilige Familie Canigiani und die Dialektik von Ostern – Dialogführung mit Pfarrer Dr. Philipp Gmelin (Schwabing)

DI 14. JULI 2020, 18.00 | Andreas Schumacher
Raffaels Madonnen: Bilder von vollkommener Schönheit – Kult oder zeitlos?

MI 05. AUGUST 2020, 18.00 | Andreas Raub
Zwei Väter und eine heilige Familie? -  Ikonographie und Theologie eines beliebten Motives

DI 08. SEPTEMBER 2020, 18.00 | Andreas Raub
Zwei Väter und eine heilige Familie? -  Ikonographie und Theologie eines beliebten Motives

MI 14. OKTOBER 2020, 18.00 | Andreas Raub
Idyll und Passion - Raffaels Heilige Familie Canigiani und die Dialektik von Ostern – Dialogführung mit Pfarrer Dr. Philipp Gmelin (Schwabing)

MI 28. OKTOBER 2020, 18.00 | Andreas Schumacher
Ludwig und Dillis ringen um Raffael: Freud und Leid und ein herber Verlust    

Grafische Gestaltung der Ausstellungspräsentation: Studio Silke Weigl

Die Heilige Familie Canigiani — Der erste Raffael für die Pinakothek

Vor 37 Jahren wurde die „Heilige Familie Canigiani“ anlässlich des 500. Geburtstags Raffaels restauriert. Unter einer deckenden Übermalung traten dabei acht auf Wolken schwebende Engel zu Tage. Sie erzählen von der wechselvollen Geschichte des Gemäldes. 

Das Bildmotiv

Das Bildmotiv der Heiligen Familie mit dem Johannesknaben war in der Florentiner Malerei der Renaissance sehr beliebt. Anders als die in der Bibel geschilderte Begegnung von Johannes und Jesus bei der Taufe (Mk 1,9–11) wird das Zusammentreffen der Kinder in apokryphen Erzählungen ausgeschmückt: Als Joseph, Maria und Jesus, vor den Gräuel des Herodes geflohen, aus Ägypten wieder ins Heilige Land zogen, trafen sie auf Johannes, der mit seiner Mutter Elisabeth in der Wüste lebte.

Der szenische Zusammenhang des Themas tritt bei Raffael zugunsten einer harmonisch in einer Pyramidenform zusammengeschlossenen Figurengruppe zurück. Wie ein schützender Hirte steht Joseph hinter den Frauen und spielenden Kindern. Die greise Elisabeth blickt sprechend zu ihm auf und verweist dabei mit ihren Fingern auf das Geheimnis der Trinität Gottes, das Joseph die Rolle des irdischen Ziehvaters zuteilt.

Die in eine idyllische Landschaft eingebettete Szene knüpft an antike Vorstellungen eines locus amoenus an, eines friedlichen Ortes im Grünen. Doch das Bild ist angereichert mit Verweisen auf die Passion Christi: Die Kinder spielen mit dem Schriftband, das die Worte Johannes’ bei der Taufe Jesu aufgreift und auf dessen Opfertod am Kreuz deutet. Maria schließt das Buch in ihrer Hand, um sich fürsorglich dem Jesuskind zuzuwenden. Dabei umfasst sie zärtlich die rechte Seite ihres Sohnes, die bei seiner Kreuzigung mit einer Lanze durchstoßen werden wird.

Vielfältige Anregungen

Madonnendarstellungen waren in ihren unterschiedlichen Varianten das beliebteste Andachtsbildthema der italienischen Renaissance. Es bot den konkurrierenden Künstlern schon zu Beginn ihrer Laufbahn Gelegenheit zur Profilierung. Raffaels um 1507 entstandene Komposition zeugt von einer intensiven Auseinandersetzung mit den seinerzeit gefeierten Leonardo und Michelangelo. Leonardos „Anna Selbdritt“ (1, Louvre) und Michelangelos „Tondo Doni“ (2, Uffizien) inspirierten Raffael zu einer raumgreifenden Figurengruppe, die in ihrer Einheit ein kunstvolles Geflecht zwischenmenschlicher Bezüge schafft. Zur besonderen Verlebendigung der Szene verwendete er Porträtstudien von Kleinkindern. 

Raffael setzte sich auch mit nordalpiner Kunst auseinander. Die Stadtansicht auf der rechten Bildhälfte ist eine freie Adaption einer Druckgraphik Albrecht Dürers (3), dessen Werke er schätzte und sammelte. Die Gestaltung der Rasenfläche, deren einzelne Pflanzen zu identifizieren sind (Löwenzahn, Veilchen und Bärenklau), geht wohl auf Hans Memlings Gemälde „Johannes der Täufer mit dem Lamm“ zurück, das Raffael bei seinem Vertrauten, dem Kardinal und Dichter Pietro Bembo, sehen konnte. Zum Werk von Hans Memling in der Online-Sammlung

Die Geschichte des Bildes

Detail aus dem Gemäldekatalog der Düsseldorfer Galerie (Nicolas de Pigage und Christian van Mechel, La Galerie Électorale De Dusseldorff, Basel 1778, Bd. 2, Taf. XII u. XIII) Zum Digitalisat der UB Heidelberg

1507 heiratete der vermögende Tuchhändler und Parteigänger der Medici, Domenico Canigiani, die Patrizierin Lucrezia Frescobaldi. Wohl aus diesem Anlass beauftragte er Raffael, die „Heilige Familie“ als Altargemälde für die Privatkapelle seines Palazzo in der Via de’ Bardi anzufertigen. 

Dort muss auch Andrea del Sarto (1486–1530) die Tafel studiert und für die um 1515 entstandene „Heilige Familie“ künstlerisch verarbeitet haben. Der Florentiner Maler verzichtet jedoch auf den heiligen Joseph sowie erzählerisches Beiwerk und konzentriert sich ganz auf die psychologische Durchdringung der über die Passion Christi sinnierenden Figuren. Zum Werk von Andrea del Sarto in der Online-Sammlung

Anlässlich der 1589 in Florenz pompös gefeierten Hochzeit von Ferdinando I. de’ Medici und Christine von Lothringen kamen beide Tafeln in die Sammlung der Medici und wurden fortan in der Tribuna, dem achteckigen Hauptsaal der Florentiner Uffizien, präsentiert. 1697 vermittelte Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz eine Vermählung zwischen dem Schwager des Großherzogs der Toskana und seiner Schwägerin. Aus Dankbarkeit schenkte der Großherzog, Cosimo III. de’ Medici, dem Kurfürsten, der sein Schwiegersohn war, die Heiligen Familien von Raffael und Andrea del Sarto für dessen Düsseldorfer Galerie. Dort wurde das Gemälde Raffaels um 1755 einer unsachgemäßen Restaurierung unterzogen. Der französische Restaurator François-Louis Collins (1699–1760) beschädigte die Engelköpfe und übermalte daraufhin die obere Bildhälfte. In dieser Form gelangte das Bild 1806 mit der Düsseldorfer Sammlung nach München.

Raffael als Patron der Pinakothek

Raffael, Heilige Familie Canigiani (Detail), Zustand während und nach der Restaurierung von 1983 (Fotos: Bayerische Staatsgemäldesammlungen)

Der Grundstein der Alten Pinakothek wurde 1826 an Raffaels Geburtstag gelegt. Damit wurde er gleichsam zum Patron des im Stil der römisch-florentinischen Renaissance gestalteten Baus erwählt. Mit großem Eifer strebten König Ludwig I. und Galeriedirektor Dillis danach, weitere der allseits begehrten Werke Raffaels auf dem internationalen Kunstmarkt zu erwerben. 1819 gelang Dillis in England der Ankauf der Madonna della Tenda. In der neuen Monumentalität der Figuren und der souveränen Farbgebung dokumentiert das Werk aus Raffaels römischer Schaffenszeit eindrücklich seine künstlerische Entwicklung.

Der Nymphenburger Porzellanmaler Christian Adler (1787–1850) schuf im Auftrag Ludwigs I. eine Serie von verkleinerten Porzellankopien bedeutender Werke aus der Alten Pinakothek. Ludwigs Absicht war es, „die Kopien der vorzüglichsten Bilder in Schmelzfarben für die Nachwelt zu erhalten, wenn endlich der Zahn der Zeit die Originale zerstört haben wird.“ Adlers Version der Darstellung, die „für die Nachwelt“ den Zustand ohne Engel dokumentiert, genügte jedoch auch ästhetischen Ansprüchen – bis 1916 wurde sie mit zahlreichen anderen Porzellankopien in den Sälen der Neuen Pinakothek gezeigt. Zum Eintrag im historischen „Verzeichnis der Porzellan-Gemälde-Sammlung“, Bayerische Staatsbibliothek München

Das 1825 von Friedrich Overbeck (1789–1869) geschaffene Gemälde „Maria und Elisabeth mit Jesus und Johannes“ wurde von Ludwig I. für die Sammlung der Neuen Pinakothek erworben und steht exemplarisch für die Bedeutung Raffaels in der deutschen Romantik. Der ‚katholische Raffael‘ stellte für die in Rom lebenden Nazarener um Overbeck das nachahmenswerte Vorbild dar. Die bedachte Ausgewogenheit der klar konturierten Figuren, der konsequent gestaffelte Bildaufbau sowie die leuchtende Farbigkeit des Werkes zeugen von der Absicht Overbecks, ein Werk im Geiste des Renaissance-Künstlers zu schaffen, ohne ihn durch Kopie oder Motivübernahmen bloß nachzuahmen. Zum Werk von Friedrich Overbeck in der Online-Sammlung

Overbeck sah die „Heilige Familie Canigiani“ ohne die Engel, die erst durch die 1983 durchgeführte Restaurierung wieder sichtbar wurden. Ihre Geschichte steht sinnbildlich für den sich stetig wandelnden Blick auf das Leben und Nachleben Raffaels.