WIE DIE MALTECHNIK BOUCHERS DEN ERHALTUNGSZUSTAND SEINER MALEREI BEEINFLUSST
François Boucher, Ruhendes Mädchen, 1752, Inv. Nr. 1166, 59 x 73 cm. Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Sibylle Forster
Von Ulrike Fischer (Gemälderestauratorin in der Alten Pinakothek) anlässlich des 4. Europäischen Tages der Restaurierung.
Es ist sowohl Wunsch als auch Aufgabe von Restaurator:innen und Kurator:innen in Museen, die ihnen anvertrauten Sammlungen stetig besser kennenzulernen und zu verstehen. Die Arbeit an einem Bestandskatalog bietet dafür optimale Voraussetzungen. Werke mit ihren zahlreichen Facetten werden aus Perspektiven der Kunst- und Sammlungsgeschichte, der Konservierung und Restaurierung sowie mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden beleuchtet und untersucht. So auch das berühmte „Ruhende Mädchen“ von François Boucher, das derzeit im Rahmen eines Forschungsprojektes zu den französischen Gemälden des 15. bis 18. Jahrhunderts untersucht wird.
Fotos: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Doerner Institut, Ulrike Fischer
Blicke durch das Stereomikroskop
In den Stereomikroskopaufnahmen wird deutlich, wie detailliert und feinteilig Boucher die farbkräftigen Pigmente und Farbstoffe eingesetzt hat. Neben anderen zeittypischen Farbmitteln sind hier unter anderem Bleiweiß, Zinnober, roter Farblack, Realgar, Ultramarin, Berliner Blau, grüne Erde und verschiedene Ockertöne erkennbar.
Fragen zu technischen Details hat vor allem der Erhaltungszustand aufgeworfen: Das Gemälde ist äußerst fragil. Durch unterschiedliche Spannungen und Bewegungen in den verschiedenen Bildschichten kam es im Verlauf der vergangenen Jahrhunderte zur Ausbildung feinster Risse, die man bei Gemälden als Craquelé bezeichnet. Sie sind Folge natürlicher Alterung und zunächst nichts Ungewöhnliches. In der Malerei des „Ruhenden Mädchens“ gibt es jedoch Partien, an denen viele Farbschollen ausgebrochen sind, weil sie innerhalb des feinen Craquelénetzes keine Haftung mehr besaßen. An diesen Stellen blickt man unabhängig von Motiv und Farbschichtenaufbau immer auf die zweite Grundierungsschicht. Hier liegt ein hochinteressantes Phänomen der Schichtentrennung vor. Bei genauerer Betrachtung im Stereomikroskop unter normaler Beleuchtung und mit Hilfe der UV-Fluoreszenz wird deutlich, dass dieses von der Isolierung herrührt, die zwischen der zweiten Grundierung und den Farbschichten liegt. Diese Isolierung bildet keine durchgängige Schicht, sondern zeigt sich in den bloßliegenden Flächen als bröckelig, borkig und instabil. Die starke Vergrößerung hilft nachzuvollziehen, dass hierauf keine gute Haftung möglich ist.
Fehlstelle mit UV-Fluoreszenz
Stereomikroskopische Aufnahme einer Fehlstelle mit normaler Beleuchtung und UV-Fluoreszenz, die den Blick freigibt auf die bindemittelhaltige Isolierungsschicht.
Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Doerner Institut, Ulrike Fischer
Gelockerte Bildschichten
Beginnende Schichtentrennung und Ablösung der Farbschollen vom Untergrund in normaler Beleuchtung und im Streiflicht.
Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Ulrike Fischer
Untersuchungen der naturwissenschaftlichen Abteilung des Doerner Institutes an kleinsten Materialproben ergaben als Bestandteil der Isolierungsschicht neben üblichem Hautleim auch Stärke. Das ist ungewöhnlich und maltechnisch auch wenig sinnvoll, da dies ein hygroskopisches Material ist, das auf Feuchtigkeitsveränderungen auch mit Volumenveränderungen reagiert. Es ist anzunehmen, dass die Isolierungsschicht auf der gesamten Bildfläche vorliegt. Die Schichtstärke scheint zu variieren und mit zunehmender Dicke reaktiver zu sein. So gibt es Bereiche, in denen sich die Farbschichten abheben, in anderen Partien haben sie die Haftung bereits verloren und sind mit der Zeit abgefallen.
Geheimnis des Malers
Detail des Gesichtes. Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Doerner Institut, Ulrike Fischer
An diesem Beispiel wird deutlich, dass sich mitunter nicht nur äußere Faktoren wie Klimabedingungen oder unsachgemäßes Handling ungünstig auf den Erhalt auswirken, sondern dass bereits in der Entstehung eines Kunstwerkes mögliches Schädigungspotential liegen kann. Die bisherigen Untersuchungen legen nahe, dass dieses intrinsische Problem durch konservatorische Maßnahmen zwar stabilisiert, aber nicht behoben werden kann. Lediglich in Partien mit gelockerten, bzw. bereits fehlenden Farbschichten ist ein direkter Zugriff auf die Isolierungsschicht und eine lokale Festigung möglich. Die geplante Konservierung und Restaurierung mit Konsolidierung, Kittung und Retusche der Fehlstellen wird das Problem unsichtbar machen und minimieren, aber nicht endgültig lösen.
Wieso Boucher dieses Material in einer untypischen und nicht optimalen Weise verwendet hat, wird vorerst sein Geheimnis bleiben - und die Schönheit bleibt fragil.