Crucifixion Triptychon - linker Teil (M+)

Francis Bacon

Crucifixion Triptychon - linker Teil, 1965

Öl und Acryl auf Leinwand, 197,5 x 147 cm (linker Flügel)

Inv. Nr. GST 1

Erworben 1967 von PIN. Freunde der Pinakothek der Moderne für die Sammlung Moderne Kunst, seit 1999 Leihgabe der Museumsstiftung
© The Estate of Francis Bacon. All rights reserved / VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Details   

Crucifixion
Triptychon - linker Teil

Die „Kreuzigung“ greift die sakrale Pathosformel des Triptychons auf. Francis
Bacon folgt damit einer Tradition der Moderne, die von Hans von Marées über
Max Beckmann und Otto Dix bis hin zu Blinky Palermo das dreiteilige mittelalterliche
Altarbild zur Vermittlung komplexer künstlerischer Fragestellungen nutzt.
Drei monumentale Bildtafeln konfrontieren den Betrachter mit einem Szenario
des Grauens, in dem sich rationales Kalkül und besinnungslose Brutalität zu
einem Albtraum verschränken. Eine alle drei Tafeln verspannende orangerote
Rückwand und ein sandiger monochromer Fußboden, der im linken Teil in ein
schwarzes Nichts mündet, bilden die ort- und zeitlose Folie für das entsetzliche
Geschehen. Isolierte, biomorphe Figuren, expressive Farb- und Formknäuel verdichten
sich zu blutenden Fleischklumpen, aggressiven Muskelpaketen, Eingeweiden und
Totenschädeln. Breiig, in bläulichen Fleischtönen der Verwesung gehalten, wirken
die sich auflösenden Formen durch ihre Unbestimmtheit ebenso bedrohlich wie
abstoßend und stehen in kaum erträglichem Kontrast zur sterilen Geometrie
der flachen Bildbühne, die auf Bacons Tätigkeit als Designer modischer Interieurs
verweist. In der linken Tafel lässt eine nackte Frau eine deformierte männliche Figur
auf dem chaotisch zerwühlten Matratzenlager zurück. Sexualität und Gewalt – man
fühlt sich an die Vergewaltigungsopfer von Otto Dix erinnert – gehen eine untrennbare
Synthese ein. In der Mitteltafel wird die gekreuzigte Figur kopfüber in ein Plattengerüst
gespannt, auf gehängt wie ein Stück Schlachtvieh mit herausquellenden Eingeweiden
und den Armen in brutal streckenden Folterklammern. Die mittelalterlichen Vorbilder –
Bacon nennt ausdrücklich ein Kruzifix von Cimabue als Orientierungspunkt – werden
inhaltlich in ihr Gegenteil verkehrt und mit heidnischen Opferritualen kombiniert. Eine
Heilserwartung findet in diesem Höllenraum keinen Platz mehr, das sakrale Rot überhöht
nicht, sondern unterstreicht die Ausweglosigkeit. Im rechten Teil assistieren
zwei an Kafkas absurd schreckliche Richterinstanzen erinnernde Zeugen, die
ihren hämischen Blick auf die Rückwand der Kreuzigung richten. Es sind die kühl
taxierenden Beisitzer und Mitläufer in einem existentiellen Drama, das sie weder
sehen können noch wollen. Daneben erwürgt ein muskelstrotzender, blonder
Mann mit Hakenkreuzbinde sein unter ihm gekrümmtes, körperloses Opfer.
Lediglich die französische Kokarde spielt in Verbindung mit dem Hakenkreuz-
Motiv konkret auf die historischen Kata strophen an, die die Generation des
Künstlers nachhaltig prägten. Es wäre jedoch zu einfach, die Interpretation damit
auf Bacons Aufarbeitung einer alles überschattenden historischen Realität
zuspitzen zu wollen. Eine solch eindimensionale Sicht widerspricht seinem
Grundverständnis, das die Allgegenwart der „Gewalttätigkeit der Wirklichkeit selbst“
konstatiert und künstlerisch stetig neu „erschafft“. Dementsprechend sind Täter
und Opfer nicht eindeutig differenziert, vielmehr entstehen beide anhand ähnlicher
Bildmittel und sind untereinander wie auch vom Betrachter isoliert. Der von
Bacon gewollte Abstand zwischen den Bildteilen sowie die fest mit dem
Goldrahmen verschraubte Verglasung schaffen in doppelter Hinsicht Distanz und
schließen diesen Albtraum in eine beklemmend luftleere Hülle ein. Der fragmentarische
Charakter, der Verzicht auf eine Altarretabeln eigene, fortlaufende Erzählung
lassen die „Kreuzigung“ zu einer Metapher von Realität werden. Mitleiden wird
so unterbunden, das Werk zum Objekt entfremdeter Wahrnehmung.
In aller Schärfe benennt Bacon jenen schmalen Grat, in dem sich Gewalt und
Faszination, Brutalität und Sinnlichkeit berühren. Geometrische Farbfeldmalerei
und eine orgiastisch expressive Bildsprache lassen ein subtiles, unwiderstehliches
Nebeneinander von Anziehung und Abstoßung entstehen. Mit dieser exemplarischen
Formulierung nimmt die „Kreuzigung“ im Werk von Francis Bacon eine herausragende Position ein.

Francis Bacon (1909 ‐ 1992)