27.03.2020: Restitution des Gemäldes „Auferweckung des Lazarus“

Auktionskatalog Lepke 1938 © UB Heidelberg

Der Weg des Bildes in die Sammlung der Pinakotheken

Das Gemälde stammt aus der Sammlung von James von Bleichröder und wurde nach dessen Tod im Jahr 1938 beim Auktionshaus Lepke (Auktionskatalog Lepke 1938 © UB Heidelberg) versteigert, dort von der Kunsthandlung Böhler, München, erworben und kurz darauf an Hermann Göring verkauft. Es befand sich bis 1945 in der Sammlung Hermann Göring und wurde 1961 von der Treuhandverwaltung als „Überweisung aus Staatsbesitz“ an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen überwiesen.

Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen haben das Gemälde bereits 2006 auf der Lost Art-Datenbank eingestellt, da aufgrund der Herkunft aus der Sammlung Göring der Verdacht auf Raubkunst bestand. Trotz umfangreicher Recherchen ließ sich nicht aufklären, wer 1938 Einlieferer des Gemäldes bei Lepke war und ob die Erben nach Bleichröder über den Erlös bei der Auktion verfügen konnten. Die Restitution erfolgte 2017 auf der Grundlage der »Washingtoner Erklärung« und gemäß der Handreichung der Länder zur Umsetzung der »Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz«.

Auferweckung des Lazarus

Auferweckung des Lazarus, entstanden um 1530/40, von einem namentlich unbekannten schwäbischen Meister © Bayerische Staatsgemäldesammlungen

Es handelt sich um eine Simultandarstellung mehrerer Szenen aus dem Johannesevangelium (11,1–44), im Mittel- und Vordergrund dargestellt: Lazarus, der Bruder von Maria und Martha, ist erkrankt. Man schickt nach Christus, damit er ihn heile. Als dieser mit den Jüngern in Bethanien eintrifft, ist Lazarus bereits verstorben. Maria (Magdalena) fällt vor Christus nieder und macht ihm Vorwürfe. Betrübt lässt dieser daraufhin das Grab öffnen und erweckt Lazarus mit dem Ruf „Komm heraus“ wieder zum Leben.

Bildrückseite mit der Nummer des Central Collecting Point © Bayerische Staatsgemäldesammlungen

Die Provenienz - „Auferweckung des Lazarus“

o.D. – spätestens 1906 Unbekannter Verbleib

o.D. – mindestens 1906, H. Hildebrandt, Mannheim

1931 - 1937, James von Bleichröder, Berlin

31.05.1938, Auktionshaus Rudolph Lepke, Berlin, Versteigerung aus dem Nachlass Bleichröder, Berlin, Kat. 2123, Abb.155, Taf. 33

1938, Kunsthandlung Julius Böhler, München, bei Lepke erworben

14.10.1938 - 1945, Hermann Göring, bei Böhler erworben

1945 - 1961, Central Collecting Point München, CCP Nummer 5688, aus der Sammlung Hermann Göring beschlagnahmt

1961, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, von der Treuhandverwaltung überwiesen

2017 restituiert an die Erbengemeinschaft nach Bleichröder, München und San Diego

2017, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, erworben von der Erbengemeinschaft nach Dr. James Bleichröder durch die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen

James von Bleichröder in seiner Berliner Wohnung mit seiner Gattin Harriet und Gesangslehrerin Mathilde de Castrone-Marchesi (Mitte), 1908; Foto R. Siegert

Familie und Schicksal

Dr. James von Bleichröder (14.10.1859 Berlin-28.4.1937 Berlin), königlich preußischer Rittmeister der Landwehr und Doktor des Rechts, war Teilhaber des Bankhauses S. Bleichröder in Berlin. Der begeisterte Rennfahrer förderte den Automobilsport. Neben wertvollen Antiquitäten besaß er fast 200 Gemälde von Künstlern wie Mihály von Munkácsy, Adolph Menzel, Max Liebermann, Antoine Pesne und David Teniers. Als er 1937 eines natürlichen Todes starb, war Berlin bereits fest im Griff der Nationalsozialisten und die Ausbeutung und Verfolgung jüdischer Bürger in vollem Gang. Durch den Boykott jüdischer Unternehmer und die strukturelle Arisierung wurde das Bankhaus Bleichröder sukzessive liquidiert. Die Kunstsammlung wurde unter bis heute unklaren Umständen 1938 bei dem Berliner Auktionshaus Lepke als „Nachlass des Herrn Dr. J. von Bleichröder“ versteigert und der Sammlungszusammenhang damit für immer zerstört.

James war in erster Ehe bis 1902 verheiratet mit Harriet von Bleichröder (geb. Alexander) (1869-1946), sie hatten vier Kinder: Curt, Edgar, Ellie und Harriet. 1917 heiratete James von Bleichröder in zweiter Ehe Maria Soydt (nicht jüdischer Herkunft, evangelisch). Aus der zweiten Ehe ging 1918 ein Sohn hervor: Wolfgang Maria von Bleichröder (1918-1984).

Stolperstein für Harriet von Campe, geb. Bleichröder, Kurfürstendamm 75, Berlin; Foto: Wolfgang Knoll © Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin

Deportation von Bleichröders Tochter

Die Familie verlor aber nicht nur ihr Vermögen und ihre soziale Stellung, sondern auch ihr Leben. Bleichröders in Berlin verbliebenen Töchter traf die volle Wucht der nationalsozialistischen Verfolgung:

Anita Wilhelmine Sammy Harriet Freifrau von Campe geb. von Bleichröder wurde am 22. Juli 1942 in ihrer Wohnung am Kurfürstendamm von der Gestapo verhaftet, in das Sammellager in der Synagoge an der Levetzowstraße verschleppt und am 15. August 1942 zum Güterbahnhof Moabit gebracht. Mit fast tausend Menschen, darunter 57 Kindern unter zehn Jahren, wurde sie in einen Sonderzug der Reichsbahn gezwängt, der drei Tage später auf dem Bahnhof Riga-Skirotava ankam. Bis auf eine Frau wurden alle Deportierten dieses Todeszugs im Wald von Bikernieki erschossen und in Massengräbern verscharrt.

Eintrag Ellie von Bleichröder in dem Prominentenalbum der Jüdischen Selbstverwaltung Theresienstadt vom 1. Januar 1944 © www.ghetto-theresienstadt.info

Weitere Familienschicksale

Ellie Maria Friederike Julie von Bleichröder wurde seit Juli 1942 in Theresienstadt gefangen gehalten, dort im Mai 1945 schwer verletzt befreit und ins Auffanglager Deggendorf verbracht. Sie verstarb 1989 in München.

Die zweite Ehefrau Maria von Bleichröder (+1981) und ihr Sohn Wolfgang wurden 1943 von der SS [Schutzstaffel] aus Schloss Hirschberg bei Weilheim vertrieben. Nach den Rassegesetzen als „Halbjude“ bezeichnet, wurde Wolfgang von Bleichröder zur Zwangsarbeit verpflichtet, der er sich durch eine selbst zugefügte Gelbsucht entziehen konnte, er verstarb 1987 in San Diego. Den zwei Söhnen aus erster Ehe Curt und Edgar von Bleichröder gelang 1942 die Emigration in die Schweiz und so überlebten sie den Holocaust.

Sekretariat Hermann Göring an Julius Böhler, 7.1.1939, © Bayerisches Wirtschaftsarchiv München

Der Ankauf durch Hermann Göring

Hermann Göring, ab 1935 Oberbefehlshaber der Deutschen Luftwaffe, war neben Hitler der größte Kunstsammler des Nationalsozialismus und trug in den späten dreißiger und frühen vierziger Jahren unzählige Kunstwerke, nicht selten aus geraubten jüdischem Besitz, zusammen. In Carinhall, seinem Landsitz in der Schorfheide bei Berlin hingen die Bilder in drei bis vier Reihen übereinander.

Der Sammelschwerpunkt des Generalfeldmarschalls galt der altdeutschen Malerei [Lazarus] und der Renaissance mit einer Vorliebe für Frauenakte. Die Herkunft von Kunstwerken aus der „Sammlung Göring“ gilt heute für ProvenienzforscherInnen als erste Spur, dass es sich dabei womöglich um Raubkunst handelt.

Überliefert sind die Rechnungen des Auktionshauses Lepke an die Kunsthandlung Julius Böhler hier in München und dort wurde das Gemälde „Auferweckung des Lazarus“ für 3600 Reichsmark verkauft. Ein dreiviertel Jahr später kaufte Hermann Göring dieses. Er zahlte die enorme Summe von 8000 Reichsmark. Der Wert des Bildes hat sich also in einem dreiviertel Jahr mehr als verdoppelt! Das erklärt sich dadurch, dass der „Eiserne Sammler“ kraft seines Amtes über beträchtliches Vermögen verfügen konnte und den Wert von Kunstwerken nicht zuletzt auch an ihrem Preis maß.

Autorin: Dr. Andrea Christine Bambi, Oberkonservatorin / Leitung Provenienzforschung und Kulturgüterausfuhr