31.03.2022: Auf Spurensuche nach Jacobus Vrel ...

... mit Dr. Bernd Ebert

Der Sammlungsleiter Holländische und Deutsche Barockmalerei für die Alte Pinakothek begab sich im Rahmen des internationalen Forschungsprojektes auf eine mehrjährige Spurensuche nach dem rätselhaften Maler Jacobus Vrel. Anlässlich der aktuellen Präsentation von Vrels „Straßenszene“ als Neuerwerbung für die Alte Pinakothek und Veröffentlichung der ersten Monografie teilen wir hier auf unserem Blog und unserem Instagram-Kanal einige seiner Notizen in Text und Bild der vergangenen Jahre, die kurzweilige Einblicke in den Forschungsprozess bieten. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes können ausführlich in der ersten Monografie zu Jacobus Vrel nachgelesen werden.

… in Wien und Třeboň

„Landschaft mit zwei Männern und einer Frau im Gespräch“, vor 1656 (Kunsthistorisches Museum Wien, Studienfoto von Bernd Ebert) | Detail aus dem Inventar der Sammlung des Erzherzogs Leopold Wilhelm, 1659, Staatliche Gebietsarchive Třeboň, Abteilung für Fonds- und Sammlungsverwaltung Böhmisch Krumau, Nr. 79

Wieso wissen wir nichts über Vrel? Sind denn keine Dokumente aus der damaligen Zeit erhalten, in denen der Maler genannt wird? Die Recherche ergab: Es gibt nur ein einziges Dokument, das seinen Namen und drei seiner Werke zu seinen Lebzeiten erwähnt: Das 1659 in Wien verfasste Inventar der Sammlung von Erzherzog Leopold Wilhelm, die er größtenteils während seines Aufenthaltes in Brüssel zusammengetragen hatte. Dieses einmalige Schriftstück konnten wir einer Spur folgend im Staatlichen Gebietsarchive Třeboň in der Tschechischen Republik ausfindig machen.

Darin werden drei Werke von Vrel erwähnt. Gibt es die genannten Werke noch und wenn ja, wo? Das bedeutendste befindet sich im Kunsthistorischen Museum in Wien, wo es neben einem Gemälde von Johannes Vermeer präsentiert wird. Ein zweites wurde aus der habsburgischen Sammlung heraus verkauft und gehört heute zur Leiden Collection in New York. Das dritte – wirklich kuriose – Werk von Vrel mit drei Figuren in einer Landschaft befindet sich ebenfalls noch in Wien. Mein niederländischer Kollege Jan Pacilly fand heraus, dass es im Depot des Kunsthistorischen Museums außerhalb der Stadt verwahrt wird. Aber nicht unter dem Namen Vrel, sondern Johannes Lingelbach. Ein großartiger Fund.

... in Los Angeles

In Los Angeles rückten wir dem Werk von Vrel aus der Sammlung des Getty Museums ganz nah zu Leibe – und fanden Gold! Vrel hat die goldenen Schalen vom Ladenschild des Barbiers mit echtem Blattgold ausgeformt. Eine echte Seltenheit und ein folgenreicher Fund, denn diese Eigenheit Vrels war später auch in anderen Werken wiederzufinden. Und es gibt Fingerabdrücke auf dem Bild, die offensichtlich keine spätere Zutat sind. Stammen sie vielleicht sogar vom Maler selbst?

... in San Diego

Unter den rund 50 Werken von Vrel gibt es einige nahezu identische Darstellungen. Es handelt sich dabei um eigenhändige Repliken, das heißt vom Künstler selbst angefertigte Kopien seiner eigenen Gemälde. Auch von der Darstellung einer am Krankenbett sitzenden Frau gibt es mehrere Fassungen, die sich heute in Antwerpen, Oxford, Washington und San Diego befinden. Die technischen Untersuchungen ergaben, dass es sich bei der Komposition in Antwerpen um die Erstfassung handelt. Doch was ist das? In der Version in San Diego fehlt die kranke Frau im Bett! Auf einem alten Foto ist sie noch zu sehen! Und tatsächlich: Im Ultravioletten Licht erkennt man, dass sie später durch die Hand eines Restaurators übermalt wurde.

„Vor einem Alkoven sitzende Frau“ (Detail aus einer Schwarz-Weiß-Aufnahme vor der Restaurierung 1950, San Diego Museum of Art)

... in Göttingen

„Straßenszene mit Bäckerei nahe der Stadtmauer“  (Detail, Hamburger Kunsthalle) | „Straßenszene mit Bäckerei nahe der Stadtmauer“ (Detail, Privatbesitz)

Auf zwei Bildern von Vrel hängt über dem Eingang zur Bäckerei ein Schild mit der Aufschrift „dit huijs ijs te huijr“ (Dieses Haus ist zu vermieten). Ist das wirklich niederländisch oder nicht doch vielleicht Plattdeutsch? Denn wir wissen ja nicht, wo Vrel tätig war. Eine Anfrage an die Arbeitsstelle Frühneuhochdeutsches Wörterbuch der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen bringt Gewissheit. Es ist niederländisch!

... in London

In London wurde die heute in der Sammlung der Alten Pinakothek befindliche Straßenszene inspiziert: Ist die Signatur zu finden? Ist der Zustand des Gemäldes gut? Über die Herkunft eines Gemäldes wollten wir mit einem Blick auf dessen Rückseite mehr erfahren. Auf der Holztafel befinden sich rote Wachssiegel. Sehr verräterisch! Aber was ist abgebildet und zu welchem noblen Haus oder Familie gehören sie? Olivier Mertens, ein auf Wappenkunde spezialisierte Adelsforscher, fand es heraus: er identifizierte das Wachssiegel mit bekröntem Schild und Greifen als Wappen der Familie De Lalaing in den Niederlanden, in deren Besitz es sich im 18. Jahrhundert befunden haben muss. Eine weitere Spur…

Begutachtung der „Straßenszene mit Personen im Gespräch“ (2018 durch die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen mit Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung aus dem Kunsthandel erworben)

... von hinten gesehen

Rückseite der „Straßenszene mit Personen im Gespräch“, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek, Inv. 16502, Erworben mit Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung, 2018

Zwei rote Wachssiegel (eines mit Kopf im Profil, das zweite mit bekröntem Schild und Greifen) und ein altes Papieretikett, beschrieben mit Feder und Tinte in französischer Sprache: „N° 10 / Tab[leau p]eint par Jean Steen / en 1651 [.Il re]présente la rue de Leyde / où demeuroit [le] peintre […] maison est / indiquée par l’enseigne a […] paresse / Bariolée et a […] coté de la Boutique de Boataz / qui fournissoit le Pain […] a sa famille. / Le Peintre y a representée [sic] une anecdote / de sa Vie citée dans Houbraken lorsqu’[il] / demanda en Mariage la Veuve Herculens / Marchande de Pieds de mouton. / La religieuse est la soeur de ce peintre / qui lui conseilla ce mariage. J. Steen est l’homme / en manteau sortant de sa maison precedé d’un / homme portant un sac de Bonbons. Sa signature / peu lisible est placée au dessous
de la femme qui / parle au viellard entre les pieds de la quelle on lit / [le mo ?]t Sot qui veut dire
fou“; ein zweites Etikett gibt diesen Text maschinenschriftlich und sehr fehlerhaft wieder; Stempel „NX215“.

... weltweit

„Straßenszene mit Rundbogentor und zwei Mönchen vor einem Portal“ (Privatbesitz), Detail mit Fokus auf das Schriftband

Die eigenhändige Signatur des Künstlers ist in den Werken oft versteckt oder prominent auf einem Papier- oder Stoffstreifen im Bildraum platziert. Letztere erinnern an die Spruchbänder und Schriftrollen im Mittelalter oder die Signaturen italienischer Renaissancekünstler. Für einen niederländischen Maler des 17. Jahrhunderts sind sie aber äußerst ungewöhnlich. Eine der Straßenszenen lässt uns rätseln, ob es der Künstler selbst ist, der das Schriftband mit seiner Signatur aus dem Fenster wirft…

... in München

Infrarotreflektografie unter Einsatz des Vasari-Scanners der „Straßenszene mit Bäckerei nahe der Stadtmauer“, Privatbesitz | Arbeiten im Team von Kunsthistorikerin, Naturwissenschaftlerin und Restaurator (Fotos: Monika Höfler)

Im Doerner Institut, das zu den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen zählt, können Gemälde mit „bildgebenden“ Verfahren näher analysiert werden. Dabei werden die Bilder mit unterschiedlichen Strahlen durchleuchtet, ähnlich wie beim Arzt. Die Untersuchungen mit Infrarotlicht brachten Unterzeichnungen und Motivänderungen des Malers zu Tage.

... in Burgsteinfurt

Gänzlich unverhofft kam es beim Besuch des Prinzen zu Bentheim Steinfurt im Schloss in Burgsteinfurt zu einem Zufallsfund. Der Besuch diente eigentlich der Untersuchung von Vrels Kircheninterieur. Doch während des Wartens auf die „Audienz“ mit dem Prinzen entdecke ich in diesem Moment im Gang des Schlosses ein weiteres, der Forschung unbekanntes Werk von Vrel. Signiert! Es muss wahrscheinlich schon zu Lebzeiten in die fürstliche Sammlung gekommen sein. Was für eine Entdeckung!

„Straßenszene mit zwei Männern im Gespräch“
Holz, 42,1 × 32 cm
Steinfurt, Burgsteinfurt, Sammlung der Fürsten zu Bentheim

... in Washington

„Am Krankenbett sitzende Frau“ mit Infrarotreflektogramm (Washington, D. C., National Gallery of Art) | „Am Krankenbett sitzende Frau“ (Antwerpen, Koninklijk Museum voor Schone Kunsten)

Eine wichtige Frage, die wir uns wiederholt gestellt haben: Hat Vrel die Kompositionen seiner Gemälde auf dem Bildträger vorgezeichnet? Ja! Die Holztafel mit der Darstellung einer am Krankenbett sitzenden Frau in der Sammlung der National Gallery of Art in Washington zeigt im Infrarotlicht eine sehr ausführliche Unterzeichnung! Wie für die Vorbereitung einer Replik typisch wusste der Künstler bereits, wie das Bild am Ende genau aussehen sollte und kombinierte gerade, vermutlich mit dem Lineal gezogene Linien mit einer locker angebrachten, skizzenhaften Zeichnung einzelner Motive. Die Unterzeichnung zeigt zudem, dass er die Erstfassung dieser Komposition in Antwerpen nicht detailgenau wiederholte, sondern sich gewisse Freiheiten ließ. Finde die Unterschiede!

... in Hamburg

Detailaufnahmen: „Straßenszene mit Bäckerei nahe der Stadtmauer“ (Privatbesitz) | „Straßenszene mit Bäckerei nahe der Stadtmauer“ (Hamburg, Hamburger Kunsthalle) | Infrarotreflektografie (Aufnahme: Hochschule der Bildenden Künste, Dresden)

Von den beiden Fassungen einer Straßenszene in Hamburg und in Privatbesitz zeigt eine auf dem Dach ein Storchennest und die andere einen Schornstein. Aber siehe da: Die Infrarotaufnahme zeigt, dass Vrel zunächst auch dort einen Storch gemalt hatte, sich dann aber umentschied und diesen mit einem Schornstein übermalte.

... in Amsterdam

Detailaufnahmen: „Straßenszene mit Frau auf einer Bank“ und Infrarotreflektografie (beide Rijksmuseum, Amsterdam)

Wen schaut die auf der Bank sitzende Frau an? Ein Mädchen, das neben ihr steht! Das zeigt aber erst die Infrarotaufnahme, denn das Mädchen hat Vrel übermalt.

... in Hoorn

„Sitzende Frau, ein Kind durchs Fenster ansehend“ (Paris, Fondation Custodia, Collection Frits Lugt) | Bernd Ebert hinter dem Innenraum-Fenster im Huis Bonck, Hoorn | „Lesende Alte mit einem Jungen hinter dem Fenster“ (The Orsay Collection) | Bernd Ebert auf einem Stuhl sitzend im Huis Bonck, Hoorn

Eines der ungewöhnlichsten und zugleich bedeutendsten Gemälde Vrels zeigt die Rückenansicht einer auf einem Stuhl kippelnden Frau, die durch ein Fenster schaut, hinter dem ein Kind steht, das sie durch die Scheibe anblickt. Eine zweite Variante dieses ungewöhnlichen Motivs befindet sich in Privatbesitz. Dass es sich hierbei nicht um das Außenfenster eines Hauses handelt und die Szene nicht zu Nachtzeiten spielt, wie vermutet wurde, können wir heute beim Blick in das 1638 erbaute Huis Bonck in Hoorn nachvollziehen. Dieses Haus zeigt genau die Räume, die Vrel auch in seinen Bildern wiedergibt. Das ist wirklich unheimlich und erklärend zugleich.

Ich erlaubte mir den Spaß, diese Szene vor Ort einmal nachzuspielen und auch die räumlichen Dimensionen nachzuempfinden. Dabei bestätigte sich auch, dass sich das straßenseitig einfallende Tageslicht auf der Innenraumscheibe spiegelt – genau wie im Bild von Vrel!