18.05.2021: #PINABEHIND: Tatjana Schäfer

#PINABEHIND: Tatjana Schäfer, Assistenzkuratorin

#PinaBehind – Was passiert eigentlich hinter den Kulissen unserer Museen? Mit #pinabehind starten wir eine Reihe, mit der wir euch in regelmäßigen Abständen einen Einblick geben wollen in das, was in unseren Räumen passiert, wenn sie für Besucherinnen und Besucher nicht zugänglich sind. Wer sind die Menschen hinter dem Museumsbetrieb? Und: Woran arbeiten sie? 

In dieser Folge erzählt Tatjana Schäfer, Assistenzkuratorin für Kunst ab 1945, von ihrer Arbeit am Projekt Ich strahle aus. 100 Jahre Joseph Beuys und wie die Pandemie ihren Arbeitsalltag beeinflusst.

Tatjana Schäfer - Fragen & Antworten

 

  • Woran arbeiten Sie gerade? 

Ich co-kuratiere mit Bernhart Schwenk das Projekt „Ich strahle aus. 100 Jahre Joseph Beuys“, bei dem wortwörtlich Multiples des Künstlers an verschiedene Orte in München „ausstrahlen“ und so unerwartete Begegnungen mit Kunst ermöglichen.  

  • Was genau sind eigentlich Multiples? 

Multiples sind Auflagenobjekte, die im Werk von Joseph Beuys einen besonderen Stellenwert haben, denn er bezeichnete sie als „Träger von Ideen“ oder auch als „Antennen“, die in der Welt verteilt und im Alltag der Menschen platziert, immer wieder neue Denkanstöße liefern. Dabei setze Beuys gezielt auf eine kryptische Beschaffenheit der Objekte, denn erst die vermeintliche „Unlogik“, so Beuys, provoziere die Menschen zum „akausalen Denken“, ergo zur Kreativität. Wir leben in einer durchrationalisierten Welt, die Multiples legen den Schalter um, erinnern daran, dass man auch mal um die Ecke denken muss, um eine neue Perspektive zu gewinnen. 

  • Was fasziniert Sie besonders an Beuys und seinem Wirken als Künstler? 

Als Kuratorin, die einer jungen Generation angehört, bin ich Beuys nie persönlich begegnet, dafür aber umso mehr dem Genie-Kult, der sich in der Kunstgeschichte und Ausstellungspraxis um ihn herum durchsetzt. Dem stehe ich kritisch gegenüber, denn es bedingt und festigt ein Narrativ, dass Kunst aus einer mystischen Aura geboren wird. Dabei hat sich Beuys wie kein anderer dafür eingesetzt, die Menschen dafür zu sensibilisieren, dass bereits ihr eigenständiges Denken eine Plastik im erweiterten Kunstverständnis ist: Jede:r, die:der sich der innewohnenden Kreativität bedient, ist gemäß Beuys ein Künstler. Die Kunst besteht nämlich darin, das eigene und gesellschaftliche Leben aktiv mitzugestalten. 

Daher faszinieren mich in der Begegnung mit Beuys besonders die Momente, wenn er uns ganz nahbar wird. Zum Beispiel, wenn er in einem mitgeschnittenen Interview sich selbstironisch zeigt und das Publikum zum Lachen bringt, oder wenn wir ihn auf den Fotos von Charles Wilp in Kenia am Strand, ohne Hut und ohne Pelzmantel, dafür in Badehose und mit Schweißperlen auf der Stirn sehen. Diese Aufnahmen von Beuys am Strand – Sandzeichnungen genannt, zeigen wir übrigens in der Pinakothek der Moderne während des Beuys-Jahres und tragen somit hoffentlich dazu bei, dass die Menschlichkeit in Beuys stärker vor die Ikone tritt.  

  • Wie beeinflusst die Pandemie Ihren Arbeitsalltag? 

Durch die Schließung der Museen habe ich die Bedeutung von Kunst in der Gesellschaft nochmal viel stärker hinterfragt. Wir standen am Anfang der Vorbereitungen für das Beuys-Jubiläum als der zweite Lockdown losging, sodass mich die physischen Einschränkungen in der Ideenfindung für die Ausstellung schon stark beeinflusst haben. Indem die Objekte aus den Museumsräumen „rausgehen“, entsteht eine neue Dynamik in der Wahrnehmung, die in Zeiten eingeschränkter Mobilität auch etwas „Beflügelndes“ hat. Auch hat die beschleunigte Digitalisierung dazu beigetragen, dass wir schnell und effizient viele Kooperationspartner:innen für das Beuys-Projekt finden konnten. Wir haben also die Zeit mit zahlreichen Videokonferenzen überbrückt, in denen wir die Ausstellungsplanungen vorangetrieben haben, sodass nun pünktlich zu den bevorstehenden Lockerungen, die Beuys-Multiples an ihren neuen Orten erlebt werden können – und zwar live. Besonders dankbar bin ich den International Patrons of the Pinakothek, die von Stunde null an, das Projekt finanziell mitgetragen haben.

  • Eine letzte Frage zum Schluss: Haben Sie ein Lieblingskunstwerk an den Pinakotheken? Falls ja - welches? 

Eine gemeine Frage. Ich habe glücklicherweise die Fähigkeit, mich immer in die Kunstwerke zu verlieben, mit denen ich mich aktuell intensiv auseinandersetze. Dabei heißt „Lieblingskunstwerk“ für mich nicht unbedingt, dass es mir besonders gefällt, es kann mich auch besonders aufwühlen – die typische Gefühlsachterbahn einer Verliebtheit eben ;-). Momentan ist es Beuys „Rose für direkte Demokratie“ und der darin mitschwingende Gedanke, dass gesellschaftliche (R)evolution seine Zeit braucht. Wie die Rose, die vom Keim zur Blume mit Stacheln als Schutz- und Abwehrmechanismen gedeiht. Darin sehe ich eine Parallele zur aktuellen Situation und dem geduldigen Umgang, den es mit der Pandemie bedarf.   

Joseph Beuys
Rose für direkte Demokratie, 1973
Meßzylinder aus Glas, mit Schriftzug
33,5 x 5 x 5 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2021