04.12.2020: #femaleheritage - Astrid Klein

Astrid Klein in der Pinakothek der Moderne – Ein Blick zwischen die Zeilen

Von Tatjana Schäfer, Assistenzkuratorin Kunst ab 1945

Astrid Kleins Werke sind vielschichtig, wortwörtlich. Unter dem Begriff Fotoarbeiten versammelt die 1951 in Köln geborene Künstlerin einen mehrere Ebenen umfassenden Prozess der Bildfindung: von Modellieren, über Collagieren bis hin zum mehrfachen Ablichten ihrer präzise zusammengestellten Kompositionen. Astrid Klein schichtet seit den 1970er Jahren neue Sinnzusammenhänge, mittels derer sie die Komplexität gesellschaftlicher Zustände reflektiert und hinterfragt. 

Ihrem Wirken ist seit Juni 2020 in der Pinakothek der Moderne ein eigener Saal sowie die Präsentation einer großformatigen Spiegelarbeit im Eingangsbereich zur Sammlung Moderne Kunst gewidmet. Keine Ausstellung, sondern eine zentrale Sammlungserweiterung von fünf Werken durch die Michael und Eleonore Stoffel Stiftung bilden hierfür den Anlass. 
Astrid Kleins Position wird damit fest in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen verankert, was ein klares Zeichen für den Ausbau von #femaleheritage setzt. In erster Linie bedeutet dieser Schritt jedoch die Anerkennung von Astrid Kleins individueller, künstlerischer Errungenschaft als unverkennbaren Beitrag zum öffentlichen Diskurs. 

Astrid Klein durchdringt die kollektive Psyche einer westlich geprägten Leistungsgesellschaft, während in ihren Bildern immer wieder auch das nationale Empfinden von Schuld anklingt. 
In der Gesamtheit ihrer Arbeiten pulsiert jedoch der Zeitgeist aus fünf Jahrzehnten. Was sich darin manifestiert, dass die Themen, mit denen sie sich bildlich auseinandersetzt, bis heute an Aktualität nicht verloren haben. Das betrifft auch ihre scharfe Beobachtung zwischenmenschlicher Dynamik, die sie in Bild- und Textkombinationen, zu körperpolitischen Fragestellungen ausbaut. 

Ein Think Tank mit Astrid Klein in der Pinakothek der Moderne, September 2020 © Astrid Klein, Foto: Franziska Pietsch, Bayerische Staatsgemäldesammlungen.

Wessen Stimme spricht: Ein Think-Tank mit Astrid Klein

Jene Fragen nach Macht und Ohnmacht, nach Projektion und Identifikation, die Astrid Kleins Werke unermüdlich aufwerfen, mobilisierten uns als kuratorisches Team, Astrid Klein zu einem generationsübergreifenden Think-Tank im Rahmen der Sammlungspräsentation einzuladen. Das heißt, neben ihren Bildern, auch sie als Künstlerin und Mensch, zu erfahren. Die Einladung an die Öffentlichkeit wurde bewusst als Aufruf zum gemeinsamen Nachdenken und Austausch formuliert, denn anders als bei einem Artist Talk, in dem eine klare Trennung zwischen Sprechen und Zuhören stattfindet, ist im Think-Tank (dt.: Denkfabrik) der Gesprächsfluss zwischen allen Beteiligten gefragt.

Sprechen und Zuhören als Autoritätsvehikel wurde auch zu einem viel diskutierten Aspekt des Abends: In Astrid Kleins Bildern ziehen sich Schriftzüge über Bildfragmente aus Werbe- und Filmkontext. Während die Bilder vor Augen führen, wie sich geschlechtsspezifische Rollenbilder über Mainstreammedien tradieren, liegt in den nicht eindeutig zuordenbaren Textpassagen, die subtile Aufforderung, vorgegebene Narrativen auf den Prüfstand zu nehmen. In anderen Worten, sich selbst zu fragen, wessen Stimme man mit dem Text spontan assoziiert. Hierin offenbart sich, wie tief patriarchalische Weltbilder in westlichen Denkvorstellungen verankert sind. Astrid Klein kommentiert die Fallstricke unserer vorgeprägten Wahrnehmung am Beispiel ihres Werks Ohne Titel (daß vollkommene Liebe …):

„…daß vollkommene Liebe die Angst austreibe.“

Astrid Klein, Ohne Titel (daß vollkommene Liebe …), 1979
Fotoarbeit, 149 x 125 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen

Zu sehen ist eine Frau, die von einem Mann fest umklammert wird, darüber der Schriftsatz „…daß vollkommene Liebe die Angst austreibe.“ Astrid Klein bemerkt, dass mit der Aussage häufig der Mann im Bild in Verbindung gebracht wird, der der Frau mit seiner Liebe die Angst austreiben will. Die wenigsten, so Astrid Klein, erwägen die Möglichkeit, dass es auch die Frau sein könnte, die sich hierbei denkt, dass doch vollkommene Liebe ihm, dem Mann, endlich die Verlustangst austreibe. 

Die Ambivalenz der Auslegung zeigt, dass es Astrid Klein nicht darum geht, Stereotype auf plakative Weise nachzubilden und darin die männliche Figur zum Antagonisten zu deklarieren. Vielmehr deutet sie darauf, dass hinter den klischeehaften Geschlechter-Fassaden von Männlichkeit und Weiblichkeit, geschlechtsunspezifische, existentielle Ängste liegen. Damit ist zweifelsfrei nicht die Rechtfertigung für körperliche Ermächtigung gemeint, vielmehr problematisiert Astrid Klein, dass Gewalt, Übergriff und Macht aus starr konstruierten Beziehungskorsagen resultieren, die die Freiheit der individuellen Entfaltung negieren. 

Das Entfaltungspotential als Frau und Künstlerin inmitten einer von Männern domminierten Kunstszene hat Astrid Klein auch mit ihren Sonntagsarbeiten thematisiert, von denen drei Werke Teil der Neuerwerbung sind. Im Think-Tank erläutert sie den Beinamen dieser Serie: 1980 wurde sie bei ihrem Auslandsaufenthalt in Paris von männlichen Künstlerkollegen zu ihrer Kunst befragt, woraufhin sie deren Überlegenheitsgefühl mit der Aussage „Ich mache Sonntagsarbeiten“ konterkarierte. Mit „Sonntagsarbeit“ bezog sie sich auf die von vielen Frauen gelebte Realität, in der für persönliche Weiterentwicklung neben beruflichen und familiären Belangen lediglich am Sonntag Zeit bleibt. Die Sonntagsarbeiten reflektieren damit konzeptuell, sowie auch in Form und Technik, als Collagen im mittleren Format, gesellschaftlich auferlegte Begrenzungen.  

Der generationsübergreifende Ansatz des Think-Tanks wurde besonders in der Debatte um Romy Schneider und Brigitte Bardot deutlich. Hier spaltete sich die Wahrnehmung zwischen Teilnehmenden, die heute nur noch den Ikonencharakter beider Persönlichkeiten kennen, und denjenigen, die deren Wirken im Kontext der damaligen Populärkultur erfahren haben. Astrid Kleins Werk CUT IX von 1986/96 lässt hingegen auch die heutige Generation nachempfinden, wie Romy Schneiders Schicksal geprägtes Leben damals ins Schlaglicht der öffentlichen Aufmerksamkeit rutschte: ein Riss durchzieht ihr Porträt, während am oberen Bildrand sich das subtil platzierte Wort „infernale“ widerfindet. 
Romy Schneider in ihrer Verletzlichkeit und gleichzeitigen Stärke zu zeigen, darum ging es Astrid Klein, die die Begriffe nicht als unvereinbare Gegenpole auslegt. 

Die zutiefst menschlichen Emotionen, die sich wie ein roter Faden durch die Werke von Astrid Klein ziehen, rücken auch mit dem abschließenden Blick auf die monumentale Fotoarbeit Endzeitgefühle II von 1982 in den Vordergrund. Ein Rudel aus Schattenhunden rauscht an einer vermauerten Tür vorbei. Die monumentale, am Boden aufliegende Fotoarbeit eröffnet ambivalente Deutungen: Flucht oder Angriff? Sackgasse oder Schlupfloch? Ende oder Kehrtwende? Astrid Klein platziert uns mitten hinein in das Geschehen und fordert Entscheidungen. Wir blicken nicht länger von außen auf unumwälzbare Tatsachen. 
Gleiches gilt, wenn wir vor Astrid Kleins großem Spiegel stehen, den sie mit einem Revolver beschossen hat. Es sind auch unsere Oberflächen, die wir darin zerbersten sehen. Mit dieser Haltung, die Dinge zu durchdringen, ist Astrid Klein viel mehr als #femaleheritage. Sie ist #femalepresence.

All das wäre ohne Astrid Kleins Bereitschaft, in einen Gedankenaustausch zu treten, nicht möglich gewesen. An dieser Stelle gilt ihr mein persönlicher Dank. 

Zur Ausstellung und Blogparade

Eine Besucherin vor Astrid Kleins Arbeit „Endzeitgefühle II“, Foto: Franziska Pietsch

Astrid Klein. Dass vollkommene Liebe die Angst austreibe ist noch bis zum 17. Januar 2021 in der Pinakothek der Moderne zu sehen. Kuratiert von Corinna Thierolf, Sammlungsleiterin Kunst ab 1945, und Tatjana Schäfer, Assistenzkuratorin Kunst ab 1945. Ermöglicht von der Michael und Eleonore Stoffel Stiftung und gefördert von den International Patrons of the Pinakothek.

Welche Gedanken kommen Euch zu Astrid Klein und #femaleheritage in Kunstmuseen? Schreibt uns an digital@pinakothek.de oder hinterlasst uns einen Kommentar in unseren Social-Media-Kanälen #pinakotheken #femaleheritage