11.05.2020: Good for your soul! Raffael – Patron der Pinakotheken

Raffaels Namenspatron - Fürsprecher der Ärzte, Blinden und Pestkranken

Detail der spielenden Kinder aus Raffaels „Die Heilige Familie Canigiani“, Bayerische Staatsgemäldesammlungen - Alte Pinakothek

רפאל ist die hebräische Schreibweise von Raffael, was wörtlich übersetzt ‚Gott heilt‘ bedeutet. Im alttestamentlichen Buch Tobit wird die Geschichte des Erzengels Raffael erzählt, der dem jungen Tobias dabei hilft, eine Medizin für die Augen seines erblindeten Vaters zu finden. Infolgedessen wurde er als Patron der Apotheker, Ärzte, Blinden und Pestkranken verehrt. Ob dies die Eltern dazu veranlasste, ihr im Jahr 1483 geborenes Kind Raffael zu nennen? Den kometenhaften Aufstieg ihres Sohnes, der achtjährig seine Mutter verlor und mit elf Jahren seinen kranken Vater, erlebten sie nicht (interessant ist die Parallele zum Schicksal J.S.Bachs). Nicht wie er in Auseinandersetzung mit Pietro Perugino künstlerisch aufblühte, mit Pinturicchio Fresken im Dom von Siena malte, in Florenz mit Leonardo und Michelangelo wetteiferte oder von Papst Julius II. nach Rom berufen wurde, wo er den bedeutendsten Persönlichkeiten der Zeit als Maler diente und leitender Architekt der größten Baustelle der damaligen Welt war, des Petersdomes. Geschweige denn, dass sie eine Ahnung von dem Nachruhm ihres Sohnes hätten haben können dessen Kunst zum Inbegriff klassischer Bildsprache der Hochrenaissance wurde und heute allen europäischen Bürgern durch die Hände geht, wenn sie mit einer italienischen 2-Euro-Münze zahlen, auf der das von Raffael für die Stanza della Segnatura im Vatikan gemalte Porträt Dante Alighieris abgebildet ist.

Der Tod im Leben eingeschrieben

Detail des Heiligen Josefs aus Raffaels „Die Heilige Familie Canigiani“, Bayerische Staatsgemäldesammlungen - Alte Pinakothek

Vincent van Gogh, Marilyn Monroe, Bob Marley oder Lady Di teilen mit Raffael das Schicksal im Alter von sechs- oder siebenunddreißig Jahren gestorben zu sein. Die gegenseitige Bedingtheit von Leben und Tod, der sich der Künstler bereits als Kind ausgesetzt sah, setzte Raffael auch auf dem Altarbild der Heiligen Familie Canigiani, das im Zentrum der Sonderpräsentation steht, in ein spannungsreiches Verhältnis. Augenscheinlich ist der Aspekt des Lebens: die spielenden Kinder und Engel, das frische Frühlingsgrün sowie die Fürsorge der Familie. Doch wesentlicher Bestandteil der Bildaussage ist der Verweis auf den Tod und das grausame Sterben des Christuskindes: Die symbolisch aufgeladenen, auf die Passion deutenden Pflanzen, der Griff der Mutter an die Stelle der späteren Seitenwunde ihres Sohnes oder der Text auf dem Spruchband (Ecce Agnus Dei; Siehe, das Lamm Gottes!) verbinden die Szene mit der Passion und Kreuzigung Christi. Raffael zufolge ist der Tod dem Leben nicht nur eingeschrieben, sondern die Quelle schöpferischer Produktivität und Voraussetzung von Schönheit.

Raffael – „Höchste Vollkommenheit der Malerey“

Ernst Förster nach Peter Cornelius; Entwürfe zu den kunstgeschichtlichen Fresken in den Loggien der Königlichen Pinakothek zu München, 1875, Tafel 26, Der Tod Raffaels 

Galeriedirektor Dillis und Architekt Klenze stellten die Pinakothek gewissermaßen unter das Patronat Raffaels. In Analogie zur Grundsteinlegung einer Kirche, die bevorzugt am Festtag des jeweiligen Kirchenpatrons erfolgte, wählte man für die Grundsteinlegung des Museums im Jahre 1826 den Geburtstag Raffaels. Aus diesem Anlass wurde eine Gedenkmünze geprägt, die den Künstler eigens erwähnte (NATALI RAPHAELIS FUNDAMENTA POSITA) und in die Grundmauern des Gebäudes eingelassen wurde. Dem Festredner Graf Armansperg zufolge sei Raffael „die höchste Vollkommenheit der Malerey […]  die zu erreichen bis jetzt einem Menschen gelungen. Was christliche Zeit vor ihm in der Malerey geleistet, und was in allen Ländern und Gegenden nach ihm folgte, reiht sich stufenweise um ihn als Gipfel einer großen, der Religion, dem menschlichen Leben und der Natur geweihten Kunsttätigkeit. Alle Reichtümer, die sich in diesem Gebäude sammeln werden, zeigen auf ihn als den Geist, welcher das Edelste, das Köstlichste geschaffen, welcher allen Vorgängern überlegen, allen Nachfolgern unerreichbar geblieben ist.“

Auch die Architektur des Baus nahm konkret Bezug auf Raffael. Im Hauptgeschoss der Südseite zitierte Klenze das erste Obergeschoss der von Raffael und seiner Werkstatt ausgemalten Loggia im Apostolischen Palast in Rom. Peter Cornelius entwarf die Freskenausmalung, die sich an Raffaels berühmtes Vorbild in Rom orientierte und ihn thematisch besonders inszenierte. Die nach Süden gerichtete Loggia sollte dem Museumsbesucher Ruhe und Kontemplation bieten. Wenngleich diese Ausstattungselemente zerstört wurden, lädt das Werk Raffaels in der Galerie wieder zu einem intimen Zwiegespräch. Auf dem nun besonders präsentierten Altarbild der Heiligen Familie Canigiani gibt Raffael der gegenseitigen Bedingtheit von Leben und Tod ein hoffnungsvolles Angesicht. Der englische Kunsthistoriker John Shearman drückte es kurz und bündig aus: “Raphael is good for your soul!“ 

Autor: Andreas Raub, Wissenschaftlicher Volontär