SINNESFREUDEN – HENDRICK TER BRUGGHENS „ZECHER“

Hendrick ter Brugghen, Der Zecher, 1627

Leinwand, 71,3 x 60 cm

© Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München,

Foto: Sibylle Forster / Nicole Wilhelms

Details   

SINNESFREUDEN – HENDRICK TER BRUGGHENS „ZECHER“

Alte Pinakothek
All Eyes On | Saal IX

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Hendrick ter Brugghen (1588–1629) zählt zu den bedeutendsten „Utrechter Caravaggisten“, jenen holländischen Malern, die in Rom im frühen 17. Jahrhundert einen Stil entwickelten, der von den dramatischen und lebensnahen Bildern des Italieners Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio (1571–1610), inspiriert ist. Der „Zecher“ entstand 1627, als ter Brugghen auf dem Höhepunkt seiner Karriere stand. Als einziges Werk des Künstlers in der Sammlung steht es gemeinsam mit zwei „Fröhlichen Gesellschaften“ seines Utrechter Malerkollegen Gerard van Honthorst (1592–1656) im Fokus der den „Sinnesfreuden“ gewidmeten All Eyes On-Präsentation.

ALL EYES ON setzt inmitten der Galerie ein Werk oder eine Werkgruppe, eine bedeutende Künstlerpersönlichkeit oder künstlerische Position, Gastauftritte einzelner Leihgaben, wichtige Restaurierungen oder Neuerwerbungen in Szene. Die künstlerischen wie technischen Qualitäten der Gemälde, Inhalt und Bedeutung, ihre Entstehungs- und Wirkungsgeschichte sowie ihre Schöpfer werden im Kontext der Sammlung beleuchtet. Auf diese Weise eröffnen sich neue, aktuelle Perspektiven und vielfältige Einblicke in die Forschungsarbeit an den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen.

Sinnesfreuden

Die annähernd lebensgroße Halbfigur ist in Nahsicht unmittelbar am Bildrand präsentiert, was die körperliche Präsenz des Mannes verstärkt. Er trägt ein kragenloses Hemd mit weiß-blauem Streifenmuster, einen violettfarbenen Umhang und ein breitkrempiges, geschlitztes Lederbarett mit einer weißen Straußenfeder. Seine bunte Kleidung ähnelt der Tracht der Landsknechte, die ihre Verwegenheit durch ein extravagantes, provozierendes Erscheinungsbild zum Ausdruck brachten. Zugleich erinnert sie an die Kostüme von Schauspielern der italienischen Volkskomödie “Commedia dell’arte”.
Mit lasziv entblößter Schulter und glasigen Augen wendet sich der Trunkenbold dem Betrachter zu. Aufgrund seines angeheiterten Zustandes bemerkt dieser offenbar nicht, dass er durch das Schräghalten des Steinzeugkruges Bier verschüttet. Das belegte Brot in der linken Hand und das zwischen die Finger geklemmte Messer erinnern daran, dass besonders salzige Speisen, wie gepökeltes Fleisch oder „Pekelharing“ (Hering), unbändigen Durst auslösen. Damit warnt die realistische und unverhohlene Zurschaustellung des entgleisten Trinkers vor übermäßigem Alkoholgenuss und unstetem Lebenswandel. Mit ihren charakteristischen Werken in der Verbindung aus caravaggesker Bildsprache und eigener Bildtradition waren die Utrechter Caravaggisten äußerst erfolgreich und inspirierten nachfolgende Generationen. Die dramatische Inszenierung und kontrastreiche, schlaglichtartige Ausleuchtung der Figuren waren auch für einen damals noch jungen Zeitgenossen stilprägend: Rembrandt Harmensz. van Rijn. 

Restaurierung

Das aus der Kurfürstlichen Galerie in München stammende Leinwandbild gehörte in der Vergangenheit zur ständigen Präsentation des Bestands niederländischer Malerei in der Alten Pinakothek, konnte jedoch aufgrund seines Zustands nicht mehr ausgestellt werden. Durch Materialalterung waren seit der letzten Restaurierung vor etwa siebzig Jahren zunehmend optische Veränderungen wahrzunehmen. Dies betraf alte Retuschen, die sich über die Jahre in störender Weise verfärbt hatten, sowie den ungleichmäßig gealterten Firnis. Zudem hatten einige Bereiche der originalen Malerei merklich ihre ursprüngliche Farbkraft eingebüßt. Nach Abschluss der Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen sind zudem Motivänderungen, die ter Brugghen eigenhändig vornahm, für den Betrachter wieder deutlicher erkennbar.

Wir danken der Ernst von Siemens Kunststiftung für die Förderung der Restaurierung des Gemäldes.

Neurahmung

Das Bild war zuletzt in einer geschnitzten Leiste aus „Knorpelwerk“ (stilisierten Voluten, Grotesken, Blättern und Muscheln) gerahmt. Dieser ursprünglich vergoldete Rahmen gehörte jedoch nicht originär zum Gemälde, sondern wurde erst später erworben und aufgrund der verloren gegangenen Vergoldung bronziert. Der Anstrich dunkelte im Laufe der Jahre extrem nach. Materialtechnische Untersuchungen ergaben, dass eine Abnahme der Bronzierung und anschließende Restaurierung des noch teils vergoldeten Rahmens zu aufwendig sein würde. Um das ursprüngliche Erscheinungsbild wiederherzustellen, wurde der Erwerb eines stilistisch passenden historischen Rahmens beschlossen. Die dunkle Flammleiste, wie sie in den Niederlanden seit dem 16. Jahrhundert gängig war, unterstützt mit ihrem Wechsel von matten, dunklen Flächen, glänzenden Profile und Ornamenten, dem Vor- und Zurücktreten der Profilstäbe sowie der Wellenbewegung verschiedener Flammleisten die spielerische Dynamik des Bildes.

Wir danken der Rahmenhandlung Thomas Knoell in Basel für die Unterstützung bei der Neurahmung. 

Begleitprogramm

FÜHRUNGEN „AUS ERSTER HAND“
Dialogführungen mit Jan Schmidt (Leitender Restaurator) und Bernd Ebert (Sammlungsleiter) zu Restaurierung und Neurahmung
DI 08. NOVEMBER 2022 | 18.30-19.30
MI 18. JANUAR 2023 | 18.30-19.30

FÜHRUNGEN
MI 02. NOVEMBER 2022 | 30. NOVEMBER 2022 | 18.30-19.30
FR 28. OKTOBER 2022 | 25. NOVEMBER 2022 | 16. DEZEMBER 2022 | 30. DEZEMBER 2022 | 27. JANUAR 2023 | 10. FEBRUAR 2023 | 15.00-16.00
SA 01. OKTOBER 2022 | 07. JANUAR | 04. FEBRUAR | 16.00-17.00
JEDEN SO 11.00-12.00 

KUNSTAUSKUNFT
JEDEN SO 12.30-14.30

FAMILIENFÜHRUNGEN
SO 23. OKTOBER 2022 | 06. NOVEMBER 2022 | 04. DEZEMBER 2022 | 19. FEBRUAR 2023 | 12.00–13.00

Für alle Führungen gilt: Teilnahme kostenfrei | Begrenzte Anzahl an Plätzen
Anmeldung vor Ort ab 30 Minuten vor Beginn möglich

LIVE CHAT
MO 03. OKTOBER 2022 | 02. JANUAR 2023 | 17.30-18.30

Anmeldung unter programm@pinakothek.de

WORKSHOPS

WE ARE FAMILY
Offenes Familien-Programm
SO 02. OKTOBER 2022 | 20. NOVEMBER 2022 | 22. JANUAR 2023 | 05. FEBRUAR 2023 | 13.00–17.00

Teilnahme kostenfrei | Einstieg jederzeit möglich | keine Anmeldung erforderlich

 

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#Kunstminute - Bernd Ebert - Gerard van Honthorst - Der liederliche Student