Träumerische Improvisation (M+)

Wassily Kandinsky

Träumerische Improvisation, 1913

Öl auf Leinwand, 130,5 x 130,5 cm

Inv. Nr. 14091

Details   

Träumerische Improvisation

In München lernte Kandinsky das Bemühen um gegenstandslose Bildformen bei Jugendstil-Künstlern wie Hermann Obrist und August Endell im Bereich der Skulptur und des Kunstgewerbes sowie in der ornamentalen Malerei von Adolf Hoelzel und Hans Schmithals kennen. Nach eigener Aussage entdeckte Kandinsky die Möglichkeit völliger Abstraktion in seinem Werk in einem träumerischen Bewusstseinszustand. Gedankenverloren habe er 1909/10 in seiner Wohnung ein
fälschlich auf der Seite stehendes Bild betrachtet und nur noch Formen und Farben
ohne Gegenstände wahrgenommen. Als Bilder aus dem Unterbewussten, welches eben damals von Sigmund Freud entdeckt wurde, hat Kandinsky in seiner Programmschrift „Über das Geistige in der Kunst“ (1912) ausdrücklich auch seine „Improvisationen“ bezeichnet. Kandinsky verstand seine ab strakten Bilder jedoch keineswegs als unmittelbare psychografische Niederschrift subjektiver Seelenzustände. Vielmehr ist das abstrakte Bild für ihn Ausdruck einer geistigen Ordnung, in der Farben und Formen in gesuchter Entsprechung zur Musik wie Klänge harmonisch und dissonant aufeinander abgestimmt sind. Als einzigartig transparenter und vielschichtiger Klang kosmos darf Kandinskys „Träumerische Improvisation“ als ein Meisterwerk jener expressiven abstrakten Malerei gelten, die Kandinsky als Lehrer am Bauhaus später dann ins Konstruktive wendete. Der Erfolg der abstrakten Malerei seit Kandinskys revolutionärer Tat resultierte nicht zuletzt aus ihrer vermeintlichen Entsprechung zum Weltbild der modernen Naturwissenschaft. Der Vorstellung rein geistiger Welten, die so von den Naturwissenschaften wie von theosophischen Richtungen popularisiert wurden, entsprach die abstrakte Kunst als künstlerische Sublimierung eines irritierend empfundenen Wirk lichkeitsverlusts wie einer grenzenlosen Freiheit.

Wassily Kandinsky (1866 ‐ 1944)