Moritz von Schwind
Die Morgenstunde, um 1860
Öl auf Leinwand, 34,8 x 41,9 cm
Inv. Nr. 11559
Die Morgenstunde
Moritz von Schwind zählt zu den bedeutendsten Malern der Spätromantik. In Wien und München ausgebildet, unter anderem bei Peter Cornelius, entwickelte er eine klassisch-idealistische Formensprache, die er auf Darstellungen der Märchen- und Sagenwelt übertrug. Häufig berühren seine Motive jedoch auch Themen der Genremalerei, wie in den sogenannten Reisebildern, die Graf Schack 1869 erwarb. Auch Die Morgenstunde gehört zu dieser Serie und greift eine Bildidee aus seinen frühen Wiener Jahren auf. Das Gemälde zeigt ein junges Mädchen am offenen Fenster stehend. Es ist früher Morgen, das Mädchen scheint soeben dem Bett entstiegen. Schwind kombiniert Motive der Genre- und Interieurmalerei mit dem in der romantischen Malerei entwickelten Bildtypus des Fensterbildes, ein künstlerischer Gedanke, der die Ambivalenz zwischen außen und innen, zwischen Geborgenheit und Freiheit thematisiert. So findet sich auch das junge Mädchen in diesem Zwischenreich wieder und kehrt beherzt dem behüteten Zuhause den Rücken, um sich voller Zuversicht dem anbrechenden Morgen, ihrer Zukunft zuzuwenden.
Graf Schack schätzte Schwind und dessen lyrische, mitunter rätselhafte Bilderwelt außerordentlich: „Ich kenne kaum andere Werke der Malerei, die so unmittelbar aus der Empfindung auf die Leinwand übergegangen sind, und hierauf eben beruht die Gewalt, mit der sie den sinnvollen Beschauer immer und immer von neuem zu sich hinziehen.“ (Graf Schack) Vielleicht waren es Bilder wie dieses, die den Sammler zu eigenen Gedichten anregten, etwa seinem Morgenständchen:
„Erwache meine Rose!
Was birgst du das Angesicht?
Schon zittert die Mimose
Entgegen dem kommenden Licht.
Hoch, höher am Rande der Hügel
Aufsteigt der fröhliche Tag;
Vergoldet blitzen die Flügel
Der Lerche bei jedem Schlag.
Die Veilchen, die Lilien trinken,
Während ins strahlende Blau
Die letzten Sterne versinken,
Den perlenden Morgenthau.
Ihr Athem, rings ergossen,
Erfüllt die Frühlingsluft,
Doch ehe dein Kelch erschlossen
Fehlt ihr der süßeste Duft.“
(Adolf Friedrich von Schack, Gedichte, München 1866)