16.11.2019: Zwei Rivalen – eine Leidenschaft

Adriaen van der Werff, Kurfürst Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg, 1700, München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek

Kurfürst Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg und Kurfürst Maximilian II. Emanuel

Etwas über die Hälfte der Werke, die momentan in der Van Dyck-Ausstellung in der Alten Pinakothek zu sehen sind, wurden im 17. Jahrhundert von zwei rivalisierenden Vettern aus dem Haus Wittelsbach erworben: Kurfürst Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg (1658–1716; Abb. 1) und Kurfürst Maximilian II. Emanuel (1662–1726; Abb. 2). Im 17. Jahrhundert Kunstwerke zu sammeln, war anders als heute: Statt wenige Highlights eines Künstlers anzukaufen, spannten die beiden Sammler ihr Netz weit aus und erwarben neben Meisterwerken wie „Susanna und die beiden Alten“ auch Werke von Van Dyck, die vielleicht auf den ersten Blick qualitativ nicht mithalten können, zum Beispiel Werkstattarbeiten und vorbereitende Studien. Dass solche Werke von Van Dyck nun auch in der Ausstellung gezeigt werden, eröffnet dem Besucher Einblicke in Van Dycks Werkstattpraxis, sein Dasein als Unternehmer, der einer Flut an Aufträgen gerecht werden musste und vermittelt uns ein Bild von Van Dyck als suchenden Künstler, der sich seinen Ruf als einer der gefragtesten Künstler Europas hart erarbeitet hatte. Das Spektrum an Werken in der Ausstellung verrät uns aber auch, was die beiden Sammler antrieb, die eine überwältigende Fülle von insgesamt 81 damals Van Dyck zugeschriebenen Werken angekauft hatten…

Joseph Vivien, Kurfürst Maximilian II. Emanuel von Bayern, 1719, München, Bayerisches Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek

Johann Wilhelm und Max Emanuel gehörten zwei unterschiedlichen Linien des Hauses Wittelsbach an, deren Kunstsammlungen 1806 in München schließlich zusammenflossen und seitdem zum Bestand der Alten Pinakothek gehören. Johann Wilhelm hatte seine Residenz in Düsseldorf, Max Emanuel in München. Ihre Konkurrenz zueinander hatte eine bereits über mehrere Generationen vererbte Tradition, angefangen als im 16. Jahrhundert die Gründung des Fürstentums der „Jungen Pfalz“ auf Kosten des Herzogtums Bayern erfolgt war.

Max Emanuel und Johann Wilhelm gönnten sich nichts – so war es für Johann Wilhelm ein herber Schlag, dass nicht er, sondern sein Vetter die begehrte Statthalterschaft der Spanischen Niederlande antreten durfte. Als Max Emanuel im Spanischen Erbfolgekrieg eine vernichtende Niederlage erlitt, war Johann Wilhelms Moment gekommen: Er forderte beim Kaiser die Reichsacht ein, die tatsächlich 1706 über Max Emanuel verhängt wurde. Während Bayern zehn Jahre lang unter kaiserlicher Verwaltung und Max Emanuel im Exil blieb, stieg Johann Wilhelm zu einem der einflussreichsten Männer Europas auf. Das Blatt wendete sich jedoch wieder zugunsten Max Emanuels, als er das Kurfürstentum Bayern zurückerhielt und Johann Wilhelm die Erwerbungen und Ämter, die er durch Max Emanuels Reichsacht erhalten hatte, wieder zurückgeben musste.

Schleißheim, Neues Schloss, Große Galerie, Blick nach Norden, München, Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen

Beschaffung, Besitz und Präsentation der Werke Van Dycks

Während dieses wechselhaften politischen Spiels und der verbleibenden Jahre ihrer Regentschaften hielten die Gemäldesammlungen den Anspruch aufrecht, auf Augenhöhe mit den europäischen Protagonisten der Politik zu sein. Max Emanuel und Johann Wilhelm waren aktive Sammler, schon allein, weil das Streben nach Rangerhöhung und somit die höfische Prachtentfaltung für absolutistische Herrscher zum politischen Selbstverständnis gehörte. Hier spielten die Werke Van Dycks eine entscheidende Rolle:

Gemälde Van Dycks zu besitzen, war schon zu Lebzeiten der beiden Kurfürsten zu einem Statussymbol geworden, das Kunstsinn, umfangreiche Geldmittel, gute Netzwerke und damit auch Macht illustrierte. Zudem löste die flämische Malerei des 17. Jahrhunderts die italienische Malerei als Schwerpunkt in den großen europäischen Sammlungen zu dieser Zeit ab – man wollte nun zunehmend Werke von Rubens und Van Dyck besitzen.

Johann Wilhelm, ein Feingeist in jeglicher Hinsicht, legte einen besonderen Ehrgeiz in der Beschaffung von Bildern an den Tag, indem er diverse Agenten und verwandtschaftliche Beziehungen nutzte. Und Max Emanuel, der für die Ausbeutung der bayerischen Staatsfinanzen in die Geschichte eingegangen ist, befand sich dank seiner Statthalterschaft der Spanischen Niederlande mit Sitz in Brüssel direkt an der Quelle für flämische Malerei. Das Resultat war, dass Johann Wilhelm 30 Werke Van Dycks sein Eigen nennen konnte, während Max Emanuel 51 Arbeiten besaß, die damals dem Künstler zugeschrieben waren (heute gelten davon noch insgesamt 23 als eigenhändige Werke von Van Dyck). Während Johann Wilhelm seine Van Dyck Werke aus verschiedenen Quellen erworben zu haben scheint, erstand Max Emanuel 15 seiner hochkarätigsten Gemälde, so die prachtvollen Ganzfigurenporträts von Sebilla vanden Berghe und Filips Godines, in einem großen Konvolut von dem Antwerpener Kaufmann Gisbert van Colen.

Die Präsentation der Werke Van Dycks war für die beiden Wittelsbacher, denen es auch darum ging, Eindruck auf andere Fürstenhöfe zu machen, von entscheidender Bedeutung. In Max Emanuels Großer Galerie in Schleißheim waren Van Dycks Gemälde direkt in das höfische Zeremoniell eingebunden und hingen aber schon – wie heute in der Ausstellung in der Alten Pinakothek – neben Werken von Van Dycks Vorbildern, wie Rubens und Tizian. 

Bild: Idealisierte Fassadenansicht und Schnitt des Kunsthauses, Kupferstich aus „La Galerie Électorale de Dusseldorf“ von Nicolas Pigage und Christian Mechel, 1778 (Tafel C)

Max Emanuel hängte zudem Van Dycks liebliche „Die Heilige Familie in einer Landschaft“, sogar in sein Schlafzimmer  ­– damals im Hofzeremoniell ein wichtiger Ort, da es den exklusiven Zutritt zum Herrscher symbolisierte. Bei Johann Wilhelm in Düsseldorf erhielten die Werke Van Dycks in dem eigens für seine Gemäldesammlung errichteten „Kunsthaus“ sogar einen bis dato neuartigen Sonderstatus als museale Kunstwerke.

Der Plan ging auf und die Einbettung in Johann Wilhelms und Max Emanuels aufwendige Repräsentationsprogramme verliehen den Werken Van Dycks eine europaweite Sichtbarkeit, wie die Resonanz unter den Zeitgenossen bestätigt. Besonders maßgeblich für die künstlerische und literarische Rezeption Van Dycks war der prominente Besucherkreis, der im 18. Jahrhundert in den Düsseldorfer Galeriebau strömte: So waren unter den Betrachtern der Werke Van Dycks einflussreiche Größen der Zeit wie Johann Wolfgang von Goethe oder der Sturm-und-Drang-Dichter Wilhelm Heinse. Heinse bezeichnete im Teutschen Merkur, der ein breites bürgerliches Publikum ansprach, Van Dycks „Susanna und die beiden Alten“ als ein „Meisterstück“, das in seinem Kolorit noch so wirke als sei es „frisch und saftig, wie eben vom Pinsel“.

Autorin: Julia Thoma, wissenschaftliche Mitarbeiterin