10.04.2019: Nationalsozialistische Sammlungsbestände

Vorderseite einer Property Card aus dem Central Collecting Point zum Gemälde „Der Institutsspaziergang“ von Carl Spitzweg, Inv.-Nr. 11995 (Bundesarchiv, B323/694)

Provenienzforschung der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen

Dr. Johannes Gramlich, Historiker, Referat für Provenienzforschung

Johannes Gramlich und Sophie Kriegenhofer recherchieren im Projekt zu den „Überweisungen aus Staatsbesitz“ aktuell objektbezogen zu den Provenienzen aller rund 900 Kunstwerke, die aus NS-Besitz stammen – dies schließt auch die inzwischen abgegebenen Objekte ein. Obwohl sämtliche Werke bereits von den amerikanischen Alliierten im Central Collecting Point geprüft worden sind, muss dieser Bestand aufgrund seiner Herkunft weiterhin als besonders problematisch gelten. Objekte werden daher bereits an die Internet-Datenbank lostart.de gemeldet, wenn ein NS-verfolgungsbedingter Entzug nach einem Erstcheck nicht ausgeschlossen werden kann. Daraufhin erfolgt die Tiefenrecherche, die bei den Objekten beginnt, die nach Erstcheck besonders kritisch erscheinen.

Außerdem forschen wir zum Gesamtvorgang dieses Vermögenstransfers von den Nationalsozialisten über die Alliierten zum Freistaat Bayern und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Uns interessieren die rechtlichen und politischen Grundlagen, auf deren Basis NS-Vermögen auf den Freistaat Bayern übergehen konnte. Außerdem fokussierenwir die Verantwortlichkeiten, Handlungsspielräume und Motive der alliierten und deutschen Stellen, die mit diesen Vorgängen befasst waren. Mit Blick auf die Rückgaben und Rückverkäufe an NS-Funktionäre und deren Familien fragen wir auch nach dem Fortbestehen personeller Konstellationen und Loyalitäten im Anschluss an die NS-Herrschaft. Die Ergebnisse werden in Buchform publiziert. 

Was sind „Überweisungen aus Staatsbesitz“?

In der Nachkriegszeit, vor allem in den 1950er- und 1960er-Jahren, hat der Freistaat Bayern rund 900 Kunstgegenstände in den Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen überwiesen, die bis 1945 hochrangigen Funktionären und Organisationen der NSDAP gehört haben. Diese Objekte stammen unter anderem aus den Sammlungen von Adolf Hitler, Hermann Göring, Heinrich Hoffmann, Julius Streicher und Adolf Wagner sowie aus dem Besitz der NSDAP-Parteikanzlei, dem Parteiforum Berchtesgaden und dem Platterhof am Obersalzberg.

Wie es dazu kam

Der Alliierte Kontrollrat, das höchste gemeinsame Gremium der vier alliierten Besatzungsmächte, beschloss in zwei Direktiven 1947 und 1948, dass Vermögenswerte von Organisationen und Funktionären der NSDAP grundsätzlich an das Bundesland übereignet werden sollen, in dem sie sich bei Kriegsende befunden haben. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen hatten mit dieser Regelung in besonderem Maße zu tun, weil in der amerikanischen Besatzungszone, insbesondere in Bayern, eine große Anzahl von Kunst- und Kulturgütern aus NS-Besitz geborgen worden war. Auf Basis der alliierten Direktiven war der Freistaat Bayern daher ermächtigt, sich noch erheblich mehr Kunst- und Kulturgüter zu Eigentum zu übertragen als die rund 900 Werke, die an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen überwiesen worden sind. Weitere Objekte sind an andere Staatliche Museen gegeben, (auf dem freien Markt) verkauft oder an die Familien der NS-Funktionäre zurückgegeben beziehungsweise zurückverkauft worden.

Rückerstattungen in der Nachkriegszeit

Ein Etikett zur Großen Deutschen Kunstausstellung 1942 von der Bildrückseite der Inv.-Nr. 11887 – aus den jährlich im „Haus der Deutschen Kunst“ stattfindenden Ausstellungen gelangten viele Bilder in den Besitz der Nationalsozialisten.

Die alliierten Direktiven zum Umgang mit NS-Besitz enthielten verschiedene Einschränkungen. Unter anderem durften keine Vermögenswerte übereignet werden, die rückerstattungspflichtig waren. Kunst- und Kulturgüter, die die amerikanische Militärregierung in Bergungsorten ihrer Besatzungszone fand, brachte sie in verschiedene Sammelstellen, die Central Collecting Points, um sie auf ihre Herkunft untersuchen und gegebenenfalls rückerstatten zu können. Doch auch wenn die amerikanische Militärregierung der Restitution von Kunst- und Kulturgütern mit großem Engagement begegnete, konnte es ihr nicht gelingen, den immensen Kunstraub des nationalsozialistischen Deutschlands bis zum Ende ihrer Besatzungszeit abschließend zu regulieren. Gleiches gilt für ein Rückerstattungsgesetz, das die Bundesrepublik Deutschland 1957 erließ. Daher sind auf Basis der alliierten Direktiven auch belastete Kunst- und Kulturgüter an den Freistaat Bayern übereignet worden.

Rückgaben und Rückverkäufe an NS-Funktionäre und ihre Familien

Eine Seite einer Übertragungsurkunde zu Heinrich Hoffmann, auf der in Kurzform auch die zugrundeliegenden Gesetze genannt werden (Bayerische Staatsgemäldesammlungen München, Registratur, Akt, 20/5c)

An den Freistaat Bayern übereignete Kunst- und Kulturgüter wurden im Anschluss teilweise an NS-Funktionäre oder deren Familien zurückgegeben oder zurückverkauft. Diesen Vorgängen widmet das Projekt der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen zu den „Überweisungen aus Staatsbesitz“ besondere Aufmerksamkeit, um zu erhellen, in welchem Ausmaß sich hierbei nach 1945 eine unkritische und problematische Nähe von Verantwortlichen der bayerischen Behörden zu hochrangigen Protagonisten des NS-Staats zeigt. Von den rund 900 Kunstwerken, die in den Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen überwiesen wurden, sind 30 Objekte aus der Sammlung des Hitler-Vertrauten Heinrich Hoffmann betroffen. Den Rückgaben bzw. Rückverkäufen dieser Kunstwerke liegen zwei unterschiedliche Sachverhalte zugrunde:

1) Heinrich Hoffmann wurde im Spruchkammerverfahren 1947 in die Gruppe der Hauptschuldigen eingestuft; sein gesamtes Vermögen war bis auf 3.000 RM einzuziehen. Gegen dieses Urteil legte Hoffmann allerdings mehrfach Revision ein, so dass er 1950 in die Gruppe der „Belasteten“ herabgestuft wurde und beim abschließenden Urteil 1956 schließlich 350.000 DM seines Vermögens behalten durfte. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen mussten ihm daraufhin die 25 Gemälde, die sie voreilig in ihren Bestand übernommen hatten, wieder herausgeben. Eines dieser Werke kauften sie Heinrich Hoffmann ab, so dass es sich bis heute im Bestand der Staatsgemäldesammlungen befindet (Carl Spitzweg, Der Institutsspaziergang, Inv.-Nr. 11995). Auch der Großteil der restlichen Sammlung Hoffmanns, den sich der Freistaat Bayern bereits zu Eigentum übertragen hatte, der aber nicht in den Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen gelangt war, musste an Hoffmann herausgegeben werden.

2) Im März 1959 gab die bundesdeutsche Treuhandverwaltung von Kulturgut 13 weitere Objekte aus der Sammlung Heinrich Hoffmann an den Freistaat Bayern heraus, die sie zurückgehalten hatte, da sie Anträge auf Rückerstattung dieser Werke für möglich hielt. 11 dieser Werke übernahmen die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in ihren Bestand. Auf Wunsch von Henriette von Schirach-Hoffmann, Tochter von Heinrich Hoffmann und Ehefrau von Baldur von Schirach, wurden ihr 1960/62 fünf dieser Werke verkauft. Dass inzwischen zwei der verkauften Objekte als NS-Raubkunst identifiziert sind, zeigt deutlich, dass die Verkäufe aus heutiger Sicht eine Fehlentscheidung gewesen sind.

Weitere Objekte aus dem Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen sind nicht an NS-Funktionäre oder deren Familien herausgegeben oder verkauft worden. Allerdings haben die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen 1966/67 noch 106 Objekte aus diesem Bestand auf dem freien Markt veräußert.
Anders verhält es sich mit Kunst- und Kulturgütern, die aus NS-Besitz an den Freistaat Bayern übereignet, aber nicht in den Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen gegeben worden sind. Hier gab es weitere Verkäufe und Rückgaben an Vertreter der NS-Elite; diese beruhten häufig darauf, dass Familienangehörige, deren Vermögen nach dem Spruchkammerurteil nicht eingezogen war, behaupteten, die entsprechenden Objekte seien ihr persönliches Eigentum und nicht das Eigentum des enteigneten NS-Funktionärs. Auch in diese Vorgänge waren Vertreter der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen involviert.

Transparenz und Zugänglichkeit

Die Kunstgegenstände, bei denen ein NS-verfolgungsbedingter Verlust nach einem Erstcheck nicht auszuschließen ist, melden wir laufend auf www.lostart.de. Da das Projekt seine Objekte schon frühzeitig meldet, ist es immer möglich, dass die anschließende Tiefenrecherche die gegebenen Informationen erweitern kann. Sämtliche Objekte der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen sind zudem in unserer Online-Sammlung abrufbar. Bei allgemeinen Rückfragen oder möglichen Ansprüchen können Sie uns jederzeit unter provenienz@pinakothek.de erreichen. Die Archivunterlagen der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, auch die Dokumente zu den Kunstwerken aus NS-Besitz, sind im Bayerischen Hauptstaatsarchiv zugänglich.