29. September 2016: Unter die Haut

Unter die Haut

Fotografische Spurensuche in Gemälden

Unsichtbares sichtbar machen? Das klingt auch im Hinblick auf Kunstwerke faszinierend, denn mit einem Blick unter die oberste Malschicht könnte man dem Künstler bei der Arbeit beinahe zuschauen: Welche Idee steckt hinter dem Gemälde? Wie sah die Planung aus und hat sich im Laufe des Werkprozesses an den Motiven etwas verändert? Und was hat das Gemälde schon erlebt, seit es das Atelier verlassen hat? Oder man könnte sich auf detektivische Spurensuche begeben und womöglich einer Fälschung auf die Schliche kommen. Dank verschiedener Techniken – der Bogen spannt sich von Röntgenuntersuchungen bis hin zur digitalen Infrarotreflektografie – ist das möglich. Die Pinakotheken und das Doerner Institut, das 1937 als eigenständiges „Reichsinstitut für Maltechnik“ in München gegründet und 1946 an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen angeschlossen wurde*, waren Vorreiter in der Entwicklung der technischen Fotografie.

Blick in die Technikgeschichte

Alles begann mit der Entdeckung der Röntgenstrahlen (1895), die die verschiedensten Materialien spurlos durchdringen, bis dahin nie Gesehenes zu Tage fördern und vor allen Dingen – kombiniert mit Fotografie – auch abbilden können. 30 Jahre später war die Pinakothek deutschlandweit das erste Museum, das ein Röntgengerät besaß. Walter Gräff erwarb es; er war es auch, der ebenfalls in dieser Zeit eine eigene Fotoabteilung in den Pinakotheken einrichtete. Dort beschäftigte man sich fortan mit Schwarz-Weiß-Fotografie, aber auch mit verschiedenen Verfahren für farbige Abbildungen (wie z.B. das Autochrom- und das Uvachromieverfahren). Zunächst bestand die Hauptaufgabe der Fotoabteilung hauptsächlich darin, den Bestand zu dokumentieren, aber auch für die Publikation von Katalogen und Postkarten war die Fotografie bald nicht mehr wegzudenken. Ende der 20er-Jahre wurde auch die ultraviolette Strahlung eine wichtige Forschungsmethode für die Gemäldeuntersuchung, und nachdem man mit dieser Technik der Fluoreszenzfotografie so erfolgreich war, kam eine weitere Art von unsichtbaren Strahlen ins Spiel: die Infrarot-Strahlung. Die Entwicklung der diversen Infrarot-Techniken steht auch in starker Verbindung mit den Pinakotheken und dem Doerner Institut, wo 1938 die erste für München (nachweisbare) Infrarotfotografie entstand und man den wirklich entscheidenden Vorteil – abgesehen vom Durchdringen dicker Schichten – der Infrarot-Technik entdeckte: mit ihr kann die Unterzeichnung sichtbar gemacht werden, also die Entwurfszeichnung für das Gemälde. Damit wurde die Bildkomposition vorbereitet, aber beispielsweise auch Notizen zur Farbwahl festgehalten. Schließlich wurde das geplante Bild darüber gemalt und die Zeichnung verschwand unter den Farbschichten. Bis zur Entdeckung der Unterzeichnung wurde durch die Infrarotfotografie vor allem erforscht, in welchem Zustand sich das Werk befand und ob bereits Restaurierungsarbeiten vorgenommen wurden. Die Sichtbarmachung der Entwurfszeichnung lässt jedoch noch einige mehr Rückschlüsse zu: nun ist es möglich, nachzuvollziehen, ob der Künstler während des Schaffensprozesses Änderungen einfließen ließ (von kleinen Details wie eine tiefer positionierte Nase bis hin zu einem völlig neuen Konzept für den Hintergrund). Außerdem half sie beim Erkennen von Fälschungen.

Ein weiterer Schritt ist getan, als Ende der 60er-Jahre ein neu entwickeltes Verfahren den Verzicht auf den empfindlichen Infrarotfilm erlaubt, denn nun ist ein Echtzeitbild möglich und damit sofort und ohne kompliziertes Entwicklungsverfahren sichtbar, ob es eine Zeichnung gibt oder nicht. Die Neuerung wird Infrarotreflektografie genannt.

Die digitale Bildverarbeitung, die am Doerner Institut 1987 ihre Geburtsstunde hatte, führt nach einigen Entwicklungsjahren schließlich zum Durchbruch in der bis dahin analogen Infrarotreflektografie, denn sie spart viel Zeit und erhöht die Präzision beim Aufnahmeprozess und der Montage der einzelnen Fotografien zum Gesamtbild, dem sogenannten Mosaik.
 

Autorin: Judith Koller

Spurensuche im Selbstbildnis

Wenn wir nun Albrecht Dürers „Selbstbildnis im Pelzrock“ (1500) mit digitaler Infrarotreflektografie analysieren, wird sichtbar, dass die Unterzeichnung des berühmten Selbstporträts ebenso bemerkenswert ist wie das Gemälde aus Öl darüber. Dürer machte wohl zu keinem anderen seiner Werke eine so exakte vorbereitende Zeichnung; das Gesicht ist fein schraffiert, seine individuellen Züge kommen deutlicher zur Geltung als in der Farb-Version – ein interessanter Aspekt, denn Idealisierung war durchaus beabsichtigt. Das wird schon durch den Blickwinkel deutlich: der 28-jährige Künstler wählte für sein Selbstporträt die Frontalansicht; eine Ansicht, die vor allem in Christusdarstellungen und Herrscherbildnissen üblich war. Seine – in Farbe noch perfektionierten –ebenmäßigen Züge, die gedrehten Locken, der prachtvolle Pelzmantel und nicht zuletzt der direkte Blickkontakt mit dem Betrachter unterstreichen seine beeindruckende, selbstbewusste Erscheinung. Und eine weitere interessante Erkenntnis fördert die Infrarotreflektografie zu Tage: es gibt keine Spuren von Korrekturen oder Hinweise auf Proportionsstudien (wie Zirkeleinstiche etc.) – die verborgene Schicht zeigt also einmal mehr das meisterliche Können Dürers.

Autorin: Judith Koller

Literaturtipp

Mehr Informationen zu Bildanalyse und Fotoabteilung finden Sie in folgendem Ausstellungskatalog:

drunter und drüber. Altdorfer, Cranach und Dürer auf der Spur
Bayerische Staatsgemäldesammlungen (Hg.)
Andreas Burmester und Martin Schawe
München 2011    
128 Seiten | 79 Abbildungen                                                                                                            
24,90 Euro im Museum

Erhältlich auch online im CEDON-Museumsshop.